Über Éowyn, Einsamkeit und das
Gefühl, nutzlos zu sein
(„All your words are but to say:
you are a woman, and your part is in the house. But when the men have
died in battle and honour, you have leave to be burned in the house,
for the men will need it no more.“)
Ich muss zugeben, dass ich bei dem
Dialog in „Die Rückkehr des Königs“ ein bisschen mit mir
gerungen habe, um nicht die Augen zu verdrehen oder meinen Kopf auf
die Tischplatte zu schlagen. Es ist natürlich ein emotionaler
Dialog, den Éowyn da mit Aragorn führt, und obwohl Éowyn da
teilweise sehr wie der Teenager klingt, der sie wohl auch noch ist,
so fühlt man doch in gewisser Weise mit.
Zumindest, bis sie sich schließlich am
nächsten Morgen umwendet und „stumbling, as someone who is
blind“ wieder in das Haus zurückkehrt.
Meine ersten, spontanen Gedanken dazu
waren nicht sehr einfühlsam, denn das, was mir da spontan durch den
Kopf schoss (und ich habe beinahe triumphierend gegrinst, als ich das
dachte), war: „Nun, das wäre eine günstige Gelegenheit, um sie
zu trösten. Sie ist einsam. Sie bräuchte jemanden, mit dem sie über
all das reden kann.“ (Ja, Gríma, sicherlich nicht Euch. Vor
Allem, da Eure Absichten auch nicht wirklich auf „Trösten“
hinauslaufen würden.)
Wobei ich zugebe, dass er da doch recht
hat – Éowyns größtes Problem ist wohl eigentlich ihre
Einsamkeit. Wen hat sie schon, mit dem sie über ihre Probleme und
die immense Verantwortung, die auf ihr lastet, reden kann? Hat sie
Freundinnen? Zofen? Mit Éomer scheint sie nämlich nicht geredet zu
haben.
Manchmal glaube ich, dass Faramir in
den Häusern der Heilung tatsächlich der Erste ist, mit dem sie mehr
oder weniger offen reden kann. Davor hatte sie niemanden.
(Denn auch, wenn Gandalf ja in den Häusern der Heilung andeutet,
dass Gríma womöglich öfter mit Éowyn geredet hat, so waren das
wohl mehr egoistische Tendenzen als ein wirkliches Interesse daran,
sie zu verstehen. Was mir auch aufgefallen ist, ist, dass keiner der
beiden den Anderen erwähnt oder jemals irgendeine Meinung über den
anderen verlauten lässt. Das sind immer nur dritte Personen, die die
Beziehung zwischen den beiden charakterisieren – auf der anderen
Seite haben beide wohl viel mehr mit ihren eigenen Problemen zu
kämpfen, als es sich leisten zu können, in Erinnerungen zu
schwelgen. Zudem ist keiner der beiden eine Hauptperson).
Ich glaube nämlich, dass die
Einstellung von Éowyn womöglich einfach ein großes Missverständnis
ist. Sie sagt, sie möchte in die Schlacht reiten, um Ruhm und Ehre
(ich bemühe mich, nicht die Augen zu verdrehen, ich bemühe
mich wirklich) zu erringen. Schön und gut. Jeder hat das
Recht darauf, seinen eigenen Wünschen und Träumen nachzuhängen,
sofern man niemandem damit schadet.
Aber gibt Théoden ihr nicht ein
Schwert und einen Harnisch, bevor er nach Helms Klamm aufbricht?
Überträgt er ihr nicht die Aufgabe, auf sein Volk aufzupassen, es
zu beschützen? Ist es nicht auch ehrenvoll, ein Volk zu beschützen
und es in Sicherheit zu führen?
Auf der anderen Seite werden über
Beschützer kaum Lieder gesungen, nicht wahr? Lieder werden nur über
ruhmreiche Schlachten und ihre Helden gesungen, wobei es da wenig
Unterschied macht, ob diese Helden noch leben oder schon tot sind.
Ich würde sie manchmal gerne fragen
(und werde es an anderer Stelle sicherlich durch Gríma auch tun):
„Und was nützen Euch die Lieder, wenn Ihr selbst in der Schlacht
gefallen seid? Was nützt es Euch, dass über Euch gesungen wird,
wenn Ihr selbst es doch nicht mehr hören könnt?“ Worauf sie
sicherlich etwas in der Art von „aber immerhin bleibe ich dann
unsterblich und habe etwas geschafft“ erwidern würde, während ich
wieder einen Anfall von Augen-verdrehen habe und mich frage, was
genau ich eigentlich damals (und auf eine gewisse Weise doch immer
noch, obwohl ich es nicht will) an ihr so faszinierend fand.
Doch aus ihren so stolzen Worten
spricht, finde ich, womöglich noch etwas Anderes. Nicht nur die
Einsamkeit, nicht nur die Furcht, zurückgelassen zu werden. Denn
wovor fürchtet man sich ebenfalls; was bedeutet es, zurückgelassen
zu werden? Welche unterschwellige Botschaft wird einem dadurch
überbracht? Was für eine Wahrheit könnte man hinter den
beruhigenden Worten „es ist zu deinem Schutze, ich möchte nicht,
dass dir etwas passiert“ sehen?
„Du bist nutzlos. Wir können
dich in einer Schlacht nicht gebrauchen, du würdest uns behindern.
Wir lassen dich zurück, weil wir keinen Nutzen für dich haben.“
Sie sagt es schließlich selbst: „But
when the men have died in battle and honour, you have leave to be
burned in the house, for the men will need it no more.“
Und das Schlimmste dabei wird wohl
gewesen sein, dass sie das nie genau so zu hören bekommen hat. Merry
kann man offen ins Gesicht sagen, dass er eine Last sein wird, der
kann das sicherlich verkraften. Aber Éowyn – nein, sie ist eine
Frau, da muss man Worte vorsichtig verpacken. Sagt lieber, dass sie
zu ihrem eigenen Schutz dableiben soll, oder zum Schutz des Volkes,
auch, wenn sie das falsch auffassen könnte. Sie hat ja gerade mal
neun Jahre der Lügen hinter sich, sie wird da schon nichts Falsches
rein interpretieren. :D
Ich muss schon wieder so sehr grinsen,
weil ich das Gefühl habe, wieder einen wunden Punkt getroffen zu
haben. Weshalb macht mir das Spaß?
Was sagt Éowyn nochmal, als sich ihr
Gemüt wandelt und auf einmal die Sonne auf sie scheint? „Ich
möchte eine Heilerin sein und alles lieben, was lebt und wächst.“
(Ich höre da Goldbeere mit heraus, aber das nur nebenbei.) Als
Heilerin/Fürstin von Ithilien hat sie eine Aufgabe, der sie
nachgehen kann. Sie hat etwas zu tun; etwas, in dem sie auch den Sinn
sehen kann, weil andere ihr für ihre Arbeit danken und ihr Respekt
entgegenbringen.
Was hatte sie in Edoras? Die undankbare
Aufgabe, sich um ihren kranken Onkel zu kümmern, der ihre Bemühungen
nicht mal richtig wahrgenommen hat. Ansonsten: Schön aussehen und
herumstehen und sich um den Haushalt kümmern, weil sie nach Elfhild
die einzige Frau im Haus ist. Wirklich aktiv etwas tun,
das Land beschützen –
das machen Éomer und Théodred und die anderen Männer; sie ist in
der „Reserve“. Und sie wird nur die Lieder und Gespräche hören;
vielleicht sogar diese in ihren Gedanken ruhmreicher erscheinen
lassen, als es ist. Sich selbst ein bisschen die Wahrheit verdrehen,
denken, dass die Männer voller Ehrgefühl für ihr Vaterland starben
und nicht mit den verzweifelten Gedanken an Frau und Kinder.
Denn was hat sie selbst für eine
Familie? Sie hat eine Familie, die sie von ganzem Herzen liebt und
die sie beschützen möchte, kann dies jedoch nicht tun.
„For you are a woman and
your part is in the house.“
Kein Wunder, dass sie sich gleich
Aragorn an den Hals wirft, denn was strahlt Aragorn in seiner
abgerissenen Kleidung und dem Elbenmantel aus? Fremdheit. Eine
gewisse Exotik. Erfahrung, Weisheit, innere Stärke, Zähheit,
Selbstsicherheit, verstecktes Königtum (ich zähle das alles gerade
nicht ohne ein gewisses Zähneknirschen auf). Er verspricht ihr all
das, was sie immer wollte, jedoch nicht haben konnte. Sie ist selbst
bereit, die Pfade der Toten für/mit ihm zu beschreiten, obwohl diese
in der rohirrischen Geschichte ein äußerst dunkles Omen zu sein
scheinen und nur von Tod sprechen. (Wen wundert es auch bei Baldor
und seinem dummen Schwur?)
Ich glaube nicht, dass sie damit
gerechnet hat, dass Aragorn die Pfade tatsächlich durchschreitet, um
unversehrt wieder herauszukommen; sie hat wahrscheinlich gedacht,
dass er die Hoffnungen verloren hat und diesen Pfad wählt, um in den
Tod zu gehen.
Und spiegelt das nicht schön ihre
eigene Verzweiflung wider? Sie, die sie dadurch wieder in ihr Gefühl
der Nutzlosigkeit versinkt, dazu verdammt, zuzusehen, wie alle
anderen in den sicheren Tod reiten? Sie hat sich wahrscheinlich
gesagt, dass jetzt ohnehin alles egal ist und hat sich unter die
Reiter gemischt. Wenn Théoden schon in Dunharg/Edoras (so genau weiß
ich das nicht mehr) ständig davon spricht, dass er das Gefühl hat,
er werde nicht zurückkommen, weshalb sollte sie selbst das nicht
auch entscheiden dürfen?
(Ich finde ihre Entscheidung immer noch
ein bisschen übertrieben, aber nun gut. Sie ist eben gerade mal 24
Jahre alt und impulsiv und lebte in einer anderen Zeit. Ich kann noch
nicht mal sagen, dass sie sehr behütet aufwuchs, denn ihre Eltern
starben schließlich, als sie gerade mal sieben Jahre alt war.)
Und jetzt, wo ich mir all das so
anschaue, frage ich mich unwillkürlich, ob Gríma sie auf seine
Seite hätte ziehen können. Mit den richtigen Worten, auf die
offensichtlichen Lügen der anderen anspielend; beiläufig bemerkend,
dass niemand sie so wirklich ernst zu nehmen scheint.
Obwohl ich nicht glaube, dass das
geklappt hätte. Der Gríma im Buch scheint mit seinem ständigen
populistischen Gerede nicht halb so geschickt gewesen zu sein, wie er
sich in meinem Headcanon entwickelt hat. (Schonmal das Wort subtlety
gehört, Gríma? Nein? Dachte ich mir. Wie habt Ihr das neun Jahre lang geschafft? Und weshalb hat da niemand was gegen unternommen, wenn es doch so ziemlich alle wussten? D:)
Zudem wäre da Éowyn selbst, die, wie
fast alle Eorlingas, äußerst treu und loyal hinter ihrem König
steht und sich niemals, niemals gegen ihn wenden würde. Schon
gar nicht gegen ihren Bruder oder gegen andere Vertraute. (In den
Anhängen wird schließlich erwähnt, wie die Versuche, Zwietracht
zwischen Éomer und Théodred zu sähen, kläglich scheiterten.)
Außerdem, hätte das einen Unterschied
gemacht, außer den, dass Éomer noch mehr Grund gehabt hätte, das
Gesetz der Halle zu missachten und Blut zu vergießen? Wahrscheinlich
nicht. Éowyn hat zu wenig Einfluss, da Gríma den König schon recht
gut unter Kontrolle hatte und Théodred zuuuufällig
in einen Hinterhalt geriet und erschlagen wurde. (Hups. Kann mal
passieren.) Mit Éomer scheint sie ja nicht geredet zu haben, das
hätte keinen wirklichen Vorteil gehabt.
Wo wir wieder zu der Frage kommen, mit
wem sie denn überhaupt geredet hat. Mit niemandem, anscheinend, und
in „Die Zwei Türme“ ist sie in meiner Erinnerung auch sehr
still. Erst in der „Rückkehr des Königs“ redet sie mehr, was
wohl auch daran liegt, dass sie mehr vorkommt und mehr Zeit zum Reden
hat.
Aber sie sagt nicht viel über sich
selbst. Klar, es herrscht Krieg, da möchte man Andere auch nicht
unbedingt mit eigenen Problemen zumüllen, weil man an das Gesamtbild
denken muss. Das, was sie sagt, sind meist entweder Kommentare zur
aktuellen Situation oder Erklärungen. Und als Dernhelm sagt sie ja
gleich gar nichts, sondern verbringt die ganze Zeit bis zur Schlacht
schweigend.
Sie ist schon jemand, die die eigene
Person zurückhält und eigentlich sehr sozial ist, die mehr an
Andere als an das Eigene denkt. Sie erzählt Éomer nie etwas von
ihren eigenen Problemen, der schließlich so überrascht reagiert,
als er a) sie auf dem Schlachtfeld findet und b) Gandalf ihm von
ihren Problemen in den Häusern der Heilung erzählt, wo er mit ganz
anderen Augen auf sie blickt. Sie kümmert sich die ganze Zeit
selbstlos um Théoden und beschwert sich nie über diese Pflicht.
(Nur eben später einmal Aragorn gegenüber, wo das alles,
gewissermaßen, aus ihr herausplatzt.) Das Pflichtgefühl ist stark
in ihr.
Ich selbst bin mir sehr unsicher ihr
gegenüber. Jetzt, wo ich sie ein bisschen mehr analysiert habe, sehe
ich doch so einige Parallelen mit mir selbst, auch, wenn ich das
nicht recht wahrhaben möchte. Ich mache mich über sie lustig, ich
ärgere mich sehr oft über sie und möchte sie teilweise gerne
einfach von mir stoßen, sagen: „Gut, war eine nette Zeit, aber das
Kapitel ist abgeschlossen. Punkt, aus, Ende. Vergiss sie, sie nervt
nur noch.“ Nur ist das nicht ganz einfach, da ich ja doch immer
wieder über sie in verschiedenster Form stolpere, sei es durch
zufällig auftauchende Bilder oder durch Texte oder ganz einfach den
Fakt, dass meine Protagonisten ein bisschen über sie nachdenken.
Oder, dass ich mich durch irgendetwas an sie erinnert fühle und dann
assoziiere.
Ich möchte mich von ihr lösen, aber
ich kann nicht. (Und ich werde anscheinend auch nicht müde,
einfach immer wieder darüber zu jammern. Man könnte ja fast
glauben, dass mir das Spaß macht; ich glaube aber eher, dass es
daran liegt, dass ich es nicht verstehe und verstehen
möchte, weshalb das so ist. Denn ich verstehe es wirklich nicht;
andere Figuren kommen und gehen, ohne solch einen emotionalen Schaden
zu hinterlassen. *um es mal übertrieben auszudrücken*)
Sie ist mir nicht sympathisch. Das war
sie mal, aber ist es nicht mehr. (Ich hatte mal in einer Mail
geschrieben „ich glaube nicht, dass ich sonderlich gut mit ihr
zurechtkommen würde, würde ich im echten Leben auf sie treffen,
oder jemanden, der ähnlich ist wie sie. Nein, das würde nicht
funktionieren.“) Ich verstehe teilweise ihre Gefühle, aber nicht
so stark, wie ich mich in Gríma einfühlen kann – zumindest meinen
Headcanon, der sich im Laufe der Jahre entwickelt hat.
Ich bin also immer noch ratlos und
werde wohl noch weiter darüber nachgrübeln und mich gleichzeitig so
sehr über sie ärgern.
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