Inhalt: Es ist so weit - wieder einmal habe ich meinen Lieblingsratgeber seinen Canontod sterben lassen, und wieder einmal kommt er zu mir und klagt mich dafür an. Und die Frage kommt auf, was für Alternativen es denn gegeben hätte.
September 2015
Es klopft leise an meine Zimmertür.
Erschrocken zucke ich zusammen (ich bekomme nicht oft Besuch, der
sich ankündigt), und ich drehe mich um, als diese gerade geöffnet
wird.
Ein Mann tritt ein, etwas unsicher auf
den Beinen, in grüne, dreckige Kleidung gekleidet. Sein Umhang ist
am Saum zerfranst und macht einen schäbigen Eindruck, und sein
langes Haar könnte auch mal wieder eine Dusche vertragen.
Sein Gesicht ist grau, die Augen liegen
tief in den Höhlen, und getrocknetes Blut klebt ihm am Mundwinkel.
Auch an seinem Ärmel ist ein solcher Fleck zu sehen.
Doch vor Allem fällt der große,
braunrote Fleck vorne an seiner Brust auf, die er sich hält, als
würde ihn das Atmen schmerzen. Glücklicherweise sind die Pfeile
bereits entfernt worden, sodass sie ihn nicht behindern.
Ich starre ihn an, während ich nervös
meine Hände knete. Er hat noch nie zuvor solch einen schlimmen
Eindruck gemacht, und ich weiß, dass das meine Schuld ist.
Er erwidert meinen Blick, und Spott und
Anklage spricht aus ihm, da er sicherlich meine Sorge erkennt. „Du
hast mich umgebracht“, sagt er trocken. „Wieder einmal.“
Ich beiße mir für einen Moment auf
die Lippe. „Es... es tut mir Leid!“ stoße ich schließlich
hervor und erhebe mich, gehe zögernd auf ihn zu. „Es tut mir
wirklich, wirklich -“
„Bleib weg, léasere!“,
knurrt er und weicht vor mir zurück, zuckt zusammen, als er gegen
die Wand stößt und dort einen blutigen Fleck hinterlässt. Es ist
offensichtlich, dass er Schmerzen hat.
Ich bleibe stehen und senke den Blick.
„Nun gut“, seufze ich, „ich will ehrlich sein und sagen, dass
es mir halbwegs Leid tut. Aber wir hatten schon lange darüber
gesprochen, und Ihr ward einverstanden.“
Ohne seine Antwort abzuwarten gehe ich
zur Tür und in die dahinter liegende Küche, fülle den Wasserkocher
und schalte ihn an. Danach suche ich für einen Moment nach einem
geeigneten Tee, ehe ich den Teebeutel in eine Tasse hänge und eine
halbe Zitrone auspresse. Eine zweite Tasse stelle ich ebenfalls
bereit.
Als ich wieder in den Raum komme, hat
er sich auf dem Boden niedergelassen und sich gegen die Wand gelehnt.
Finster blickt er zu mir auf, als ich etwas überrascht zu ihm
hinabschaue.
„Ihr hättet Euch auch auf den Stuhl
setzen können. Oder Euch zumindest die Decke nehmen, um es Euch ein
bisschen bequemer zu machen.“
Als er darauf nicht reagiert, sondern
mich nur weiterhin anstarrt, hole ich kurzerhand selbst die Decke und
lasse sie vor seine Füße fallen. Einen Moment später ertönt auch
das Klacken des Wasserkochers, und ich gehe wieder hinaus in die
Küche, gieße es in die beiden Tassen und bleibe stehen. Ab und zu
schaue ich auf mein Handy, um die Zeit abzuschätzen, und schließlich
lasse ich die Teebeutel zum Abkühlen in die Spüle fallen und nehme
beide Tassen an mich.
Er sieht ein wenig überrascht aus, als
ich ihm wortlos die Tasse mit dem Fuchsmotiv hinhalte, nimmt sie
jedoch an. Die Wärme wird ihm gut tun nach diesem kalten
Novembertag. Und auch die Schmerzen werden dadurch besser werden.
Ich selbst lasse mich ihm gegenüber
nieder und lehne mich gegen meinen Bettpfosten; beobachte, wie er
zögerlich einen Schluck aus der dampfenden Tasse nimmt.
Er hat immer noch nichts gesagt, und so
sehe ich mich gezwungen, das Wort zu ergreifen. „Es tut mir
wirklich Leid“, beginne ich und überhöre sein Schnauben, „doch
es war notwendig. Das wisst Ihr, wir haben da schließlich schon
drüber geredet.“
„Ja“, stimmt er dunkel zu und nimmt
noch einen Schluck. „Und auch darüber, dass du recht wenig
Fantasie zu haben scheinst. Schließlich sahst du keine Möglichkeit,
mich überleben zu lassen.“
Ich seufze auf. „Es war notwendig für
den weiteren Verlauf der Geschichte. Es geht schließlich primär um
stuntfola, nicht um Euch. Und wenn Ihr überlebt hättet, dann
würde sie immer noch an Euch hängen und keinen eigenen Willen
entwickeln. Außerdem wäre dann Eure ganze Notfallplanung umsonst
gewesen.“
Seine Augen verengen sich. „Der Plan
war eben dazu gedacht – im äußersten Notfall zu greifen.“
Ich seufze leise. „Natürlich, und es
ist gut, dass Ihr das gemacht habt. Sie wird dankbar dafür sein;
zumindest, wenn die beiden die ganzen Puzzleteile zugeordnet haben,
die Ihr ihnen gegeben habt.“ Für einen Moment herrscht Schweigen
zwischen uns.
„Ich meine“, beginne ich zögernd,
als ich diesen stechenden, anklagenden Blick nicht länger aushalte,
„es ist ja nicht so, als wenn ich nicht mit der Möglichkeit
gespielt habe, Euch überleben zu lassen. Doch... was hättet Ihr
geplant, wenn Euch diese Möglichkeit tatsächlich offen gestanden
hätte?“
„Ich hatte nicht wirklich viel Zeit,
dies zu planen, nicht wahr?“ kontert er missgelaunt. „Du hast uns
ständig herum gescheucht.“
„Lenkt jetzt nicht ab! Ihr müsst
doch irgendeinen Gedanken darüber gehabt haben, oder? Ihr seid
schließlich auch nur ein Mensch.“
Gríma weicht meinem Blick aus, und in
diesem Moment sieht er merkwürdig hilflos aus. „Ich weiß es
nicht“, murmelt er schließlich, während sein Finger zuckt. „In
Rohan wäre ich nicht mehr willkommen, selbst dann nicht, wenn ich
mit Créofan gegangen wäre. Irgendwann hätte mich wahrscheinlich
doch jemand erkannt. Nein, da wäre Gondor schon sicherer gewesen.
Mit meinen Fähigkeiten hätte ich mich womöglich dort niederlassen
können. Solange ich unauffällig geblieben wäre, hätte der
Waldläuferkönig wohl keinen Grund gehabt, auf mich aufmerksam zu
werden.“
Ich kann nicht anders, als den
Mundwinkel in einem unterdrückten Grinsen zu verziehen.
„Gondor, wie?“ frage ich und rücke
mich ein wenig zurecht. „Irgendwelche speziellen, äh...
Ortspräferenzen? Ithilien, zum Beispiel?“
Der Blick, den er mir über den Rand
seiner Tasse zuwirft, könnte den Tee sofort gefrieren lassen.
„Hältst du mich für einen Narren?“ knurrt er. „Glaubst du
wirklich, dass ich ohne jegliches Vorwissen zum nächsten Fürsten
gehen würde? Der Fürst von Ithilien würde meinen sicheren Tod
bedeuten, und den kann ich mir bedeutend leichter auf dem Weg holen.“
„Wieso?“ frage ich unschuldig nach.
„Faramir ist für seine Güte bekannt, und -“
„Seine Gemahlin jedoch nicht so sehr,
wie ich gehört habe“, kontert er trocken. „Ich möchte ihr nur
ungern wieder über den Weg laufen. Deine alten Geschichten haben mir
mehr als deutlich gezeigt, dass es dort nichts mehr für mich gibt –
und es wohl niemals etwas gab.“
Ich senke betreten den Blick. Ich habe
ihn wirklich durch viel durchgehen lassen, und nicht nur sein
äußerliches Aussehen. Meist habe ich ihm eine höchst dramatische
Vergangenheit gegeben, und ich habe ihn mehrmals schon umgebracht.
„Wisst Ihr“, beginne ich zögernd,
„manchmal würde ich mir wirklich wünschen, dass Ihr irgendwie...
Freundschaft schließen könnt. Dass ihr zusammenarbeiten
könntet, ohne ständig die Vergangenheit vor Augen zu haben. Ich bin
immer noch der Meinung, dass ihr euch eigentlich ergänzen würdet,
mehr oder weniger; Ihr ähnelt Faramir in gewissen Dingen.“
Er hört mir schweigend zu.
„Nun, natürlich unterscheidet ihr
euch auch – Faramir ist sehr viel einfühlsamer als Ihr das seid,
und nicht ganz so egoistisch. Aber Ihr hattet Einfluss gehabt, Ihr
seid wirklich gut in dem gewesen, was Ihr getan
habt. Ihr denkt, ehe Ihr handelt, und das ist etwas, was Éowyn
manchmal nötig hätte.“
„Ist dies der Grund, weshalb du mich
in einer deiner ersten Geschichten hast überleben lassen?“
Ich nicke zögernd und zucke mit den
Schultern. „Nun... ich mochte den Gedanken, dass Ihr
zusammenarbeitet, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Von daher
wäre das toll gewesen. Aber ich merke ja selbst, wie mir Éowyn
immer mehr... entgleitet.“
„Das ist nicht meine Schuld, wie ich
oft genug betont habe“, bemerkt der Ratgeber und weicht meinem
Blick aus. „Dafür bist du ganz allein verantwortlich.”
„Ihr seid jedoch mein Spiegel für
sie“, antworte ich. „Seid es schon immer gewesen; das weiß ich
jetzt.“
***
Unfertig, wie schließlich alles hier. Wird vielleicht irgendwann nochmal in Angriff genommen werden. Falls sich jemand über das "September 2015" wundert - das ist der Zeitpunkt, an dem ich gerade seine letzten Kapitel geschriebenn hatte.
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