Dienstag, 27. Februar 2018

Lieblingsfigur: Ratgeber, Verräter, Schlangenzunge

Wie Gríma eigentlich immer als Spiegel von meiner momentanen Sicht auf Éowyn funktionierte
War Gríma schon immer dein Lieblingscharakter im Herrn der Ringe oder hat sich das erst mit der Zeit entwickelt?



Ich habe eine Frage auf ask bekommen – die Zweite zu dem Thema.
„War Gríma schon immer dein Lieblingscharakter im Herrn der Ringe oder hat sich das erst mit der Zeit entwickelt?“
Es ist interessant, dass der Nachsatz „oder hat sich das erst mit der Zeit entwickelt“ gefragt wurde – wer meine Geschichten mitverfolgt hat, wird bemerken, dass es genau das ist.
Ich warne vor - der Blogeintrag wird etwas wirr sein und wird wohl noch überarbeitet werden, aber ich schreibe seit gefühlt zwei Jahren an dem Ding und habe nicht das Gefühl, dass da sonderlich viel Klarheit reinkommt.



Erst war da Gollum. Nach dem ersten Lesen der Bücher des „Herrn der Ringe“ war es Gollum, der meine Faszination für sich hatte, da er einfach interessant war mit seinen zwei Persönlichkeiten und dem Fakt, dass man nie ganz genau wissen konnte, welcher Seite man jetzt gegenüberstand. Der Fakt, dass er ganz offensichtlich sowohl eine gute als auch eine böse Seite in sich hatte. Aber das blieb natürlich nicht, da ich irgendwann Geschichten darüber schreiben wollte und man dieses Spiel eher schlecht schriftlich darstellen konnte.
Gríma kam erst danach.

Ich kann jedoch nicht über Gríma sprechen, ohne die ides zu erwähnen, und so werde ich mit ihr beginnen – weil es, in gewisser Weise, tatsächlich mit ihr begonnen hat.
Merkwürdig, eigentlich, wenn ich daran zurückdenke. Wenn ich sagen müsste, welche Figur aus dem „Herrn der Ringe“ mich begleitet und sich mit mir weiterentwickelt hat, kann ich trotz allem guten Willen nicht sagen „das war Éowyn“, obwohl mit ihr mein Fanfiktionschreiben begann.
Ich muss sagen „das war Gríma“. Gríma hat sich in all den Geschichten weiterentwickelt, charakterlich, moralisch; jedoch niemals Éowyn. Éowyn blieb irgendwie immer eine recht statische Figur, die irgendwann auch ihre Lebendigkeit verlor. (Nicht nur durch Méfugyn, sondern schon vorher.)
Dabei hatte das mit Éowyn angefangen, durch diese merkwürdige Diskussion zwischen zwei Freundinnen, wer denn jetzt Arwen sein dürfe, dank der vielen Filmposter zu „The Two Towers“, die zu der Zeit überall hingen. Weil wir beide Aragorn toll fanden und beide Arwen sein wollten. Nun, ich habe verloren und wurde dann eben widerwillig Éowyn. Schnell jedoch hatte sich der Spaß an dieser Rolle eingestellt, weil als Éowyn hatte man ja den Hexenkönig von Angmar erschlagen und war berühmt und dann erstmals auch verletzt und konnte krank spielen. (Und immer dramatisch in Ohnmacht fallen, wenn Aragorn kam. Ich hatte damals noch nicht wirklich viel Ahnung von ihrem Charakter. Lustig war es trotzdem.)
Damals habe ich noch viel aus ihrer Sicht geschrieben, habe sie Abenteuer in Begleitung Arwens und Rosies erleben lassen. Und schon damals kam Gríma vor, weil er der offensichtliche Antagonist für Éowyn war. (Was sich in den Texten dann aber doch immer eher als Saruman herausgestellt hat. Gríma war ein... Zwischending, weil er doch meist unfreiwillig zu den Dingen gezwungen wurde, die er tat. Vielleicht eine Art Anti-Held, obwohl ich den Begriff damals noch nicht kannte.)
Gríma war zu dem Zeitpunkt noch sehr beeinflusst durch die Filme und mein erstes Lesen der Bücher (was in blassem Gesicht, schwarzem Haar und roten Augen resultierte); und so taperte er meist Éowyn wie eine Art verliebte Welpe hinterher, befreite sie immer mal wieder aus Isengard (weshalb auch immer Saruman gerade Éowyn entführen wollte, da das nie so wirklich gesagt wird) und jammerte meist gedanklich über sein Schicksal und dass er Sarumans Befehlen folgen müsse. Ab und zu lehnte er sich gegen ihn auf, aber da Saruman dies wusste und Gríma sich meist sehr dämlich anstellte, klappte das natürlich nie.
Ich fand jedoch schon immer dieses merkwürdige Machtverhältnis zwischen Gríma und Éowyn interessant, und so tauchten die beiden häufig zusammen in Geschichten von mir auf.
Doch zu dem Zeitpunkt bewunderte ich Éowyn noch und stellte sie als fähige Schildmaid dar, als selbstbewusste, etwas sanftere Fürstin Ithiliens – die definitiv zu Faramir gehörte, nicht mehr zu Aragorn.
Gríma wurde mit den Jahren grausamer und kälter gegenüber Éowyn, verachtender, spöttischer. Mehr auf Macht fixiert, mehr und mehr auf den Gedanken, sie zu besitzen, zu brechen, Kontrolle über sie zu haben. Bis er eben jetzt an dem Punkt angelangt ist, dass er in „Cwideas“ sie eher von sich stößt und jeden Gedanken an sie meidet, was… tatsächlich sehr meiner eigenen Reaktion entspricht.
Es sagt eben doch schon etwas über einen aus, wenn man in einem Traum in Minas Tirith in den Gärten der Häuser der Heilung Éowyn auf einer Mauer sitzen sieht. Ich habe sie dort aus Grímas Sicht gesehen, habe sie nur angeschaut, wie sie dort gewartet hat. Kurze Zeit später kam dann Faramir, sie lächelte und erhob sich, während ich mich mit einem Gefühl von Frustration/Bitterkeit abgewendet habe und dachte: „Oh, please don‘t make me watch this.“

Wie hat es jedoch der Ratgeber geschafft, mich langsam und schleichend auf seine Seite zu ziehen?
Ich kann noch nicht einmal den genauen Zeitpunkt sagen, an dem er meine Lieblingsfigur wurde – ich weiß nur, dass ich damals Mitleid mit ihm bekommen hatte aufgrund seiner Behandlung durch Saruman, durch Baumbart, der ihn zwingt, durch einen verdammt tiefen See zu waten, obwohl er nicht schwimmen kann. Später wird er von Saruman geschlagen und sehr offensichtlich gemobbt – kurz vor Ende kommt er durch Sarumans Ruf auf allen Vieren angekrochen wie ein Hund, als er ihn ruft.
Gleichzeitig war ich wohl gewissermaßen fasziniert von dieser Abhängigkeit gegenüber Saruman, diese Hilflosigkeit, die er ausstrahlt – etwas, in dem ich mich vielleicht auch unbewusst selbst wiedergefunden habe aufgrund meiner eigenen Lebenssituation zu dem Zeitpunkt. In eine vollkommen neue Situation geworfen zu werden und gezwungen zu sein, damit umgehen zu müssen.
Was mich in dem Sinne sehr mit Gríma verbindet und was mich tatsächlich eine gewisse Sympathie mit ihm haben lässt, ist die Angst.
Anfangs war das sehr auf die Filmversion bezogen, weil man seine Furcht sieht, als Théoden wieder zu Sinnen kommt und das Schwert über ihm erhebt. (Und seien wir ehrlich – wer möchte schon gerne sterben?) Das war einer der Momente, in denen ich mich auf einmal mit ihm verbunden gefühlt habe, was im Grunde auch eines der Hauptthemen in „Cwideas“ ist.
Éowyn hat diese Furcht nicht; nicht in meiner Vorstellung, was vielleicht daran liegt, dass ich sie nicht wirklich verstehe – Gríma ist da sehr viel einfacher.

Zu dem Zeitpunkt begann ich mich zu fragen, wie er zu dem wurde, was er in den letzten Monaten seines Lebens im Buch ist, und ich habe lange versucht, eine Erklärung dafür zu finden und habe mehrere verschiedene Headcanons zu seiner Figur, denn Tolkien ist äußerst sparsam, was Hintergrundinformationen über ihn angeht – man erfährt eigentlich nur, dass sein Vater Gálmód genannt wurde, und dass er einst Théoden aus aufrichtiger Überzeugung heraus diente. (Laut Gandalf, aber ist Gandalf nicht auch eine nicht ganz vertrauenswürdige Quelle?)
Und natürlich war da Éowyn. Wie ich schon sagte; ich kann nicht über ihn reden, ohne die ides zu erwähnen, denn in den Filmen ist das Augenmerk hauptsächlich auf sie gerichtet, was zumindest die versprochene Belohnung von Saruman angeht. Ich teile seine Faszination für Éowyn, sein letztendliches Unverständnis von ihrem Charakter.
Es ist wohl bezeichnend, dass meine erste Geschichte mit ihnen, die ich auf FF.de mit ihnen hochlud, letzten Endes darauf hinausläuft, dass sie beide gezwungenermaßen zusammenarbeiten. Sie wissen um die Vergangenheit, sie arbeiten äußerst widerwillig zusammen, aber sie tun es – was nicht auf ein zwangsläufiges Pairing der beiden hinausläuft. Das habe ich ausprobiert, und ich weiß, dass dies nicht funktioniert. Nicht mit diesem ungesunden Machthunger, den Gríma ihr gegenüber hat, und nicht mit dem Freiheitsdrang, den Éowyn besitzt. (Weshalb sonst wäre ich gezwungen gewesen, sie einzusperren?)

Tatsächlich erfand ich sehr früh einen eigenen Antagonisten für meine Geschichten, weil ich mich schon damals darüber aufregte, dass der Ratgeber in den Filmen als so offensichtlich böse dargestellt wurde. Meine Wut darüber, dass gerade solch eine wichtige Person, die es ja schließlich irgendwie geschafft haben musste, für neun Jahre lang ihr Amt im Dienste des Königs zu halten, von Peter Jackson als so offensichtlich antagonistisch dargestellt wurde, war ziemlich groß. Man könnte sich fragen, weshalb Théoden überhaupt so jemanden eingestellt hatte, der offensichtlich nichts Gutes im Schilde führte. Weshalb andere nichts früher gegen ihn unternahmen, oder weshalb diese Maßnahmen so lange so nichtig waren, dass der Ratgeber seinen Einfluss weiter ausweiten konnte.
Deshalb, inspiriert von vielem Anime-Schauen, wurde also ein schönes, junges Love-Interest an Éowyns Seite gestellt, dem sie natürlich alles Andere als abgeneigt war und vor dem Gríma sie warn… ah, ich sehe, worauf dies hinausläuft. Oh ja, schon damals, als ich es nicht wahrhaben wollte, lagen meine Sympathien sehr klar bei dem Ratgeber.
Wie dem auch sei, Gríma fiel meist die Rolle zu, das Fürstenpaar vor dem gefährlichen, bösen, fanatisch Saruman-dienenden Eorling zu warnen, das Fürstenpaar hörte nicht auf ihn und der Eorling offenbarte sein wahres Gesicht, während Gríma entweder widerwillig zur Rettung kam oder später mit einem trockenen „Ich habe es Euch doch gesagt“ auftauchte…

Es ist sehr ironisch, das zugeben zu müssen, aber wenn ich ehrlich bin, war es wohl doch schon immer Gríma, dem meine Sympathie galt. Weil er eine schwächere Seite der Figuren verkörperte und gleichzeitig aber so unsympathisch ist.
Wie Súlime kann also auch ich sagen, dass ich in jedem meiner Texte einen neuen Aspekt an ihm finde, wieder ein Stück weit seine Persönlichkeit verändere, weil ich glaube, dass dieser Teil besser an seinen eigentlichen Charakter herankommt – nur, um nach einiger Zeit festzustellen, dass ich ihm immer noch nicht gerecht werde.
Ich ziehe meinen nicht vorhandenen Hut vor Tolkien.

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