Der Inhalt: Bei einem Schachspiel geht es nicht nur darum, den gegnerischen König zu stürzen und den Eigenen zu beschützen - es geht darum, einen Überblick über die eigenen Figuren zu haben, die Vor- und Nachteile jedes Mitstreiters zu kennen und klug einzusetzen. Es geht darum, seine eigenen Figuren zu opfern und diese sorgsam zu wählen.
Ein Reiter, stolz aufgerichtet und ganz
in Weiß gekleidet, ritt über ein großes Schlachtfeld. Vor ihm
warteten die dunklen Horden, und in der Ferne ragten die zwei dunklen
Türe empor. Der Wind zerrte an seinem Umhang, das Gras war
blutgetränkt.
Vor ihm rannte ein Geschöpf der
gegnerischen Heeres, eine Sense schwingend, auf ihn zu und schrie
Herausforderungen in seiner dunklen Sprache.
Der weißgewandete Reiter machte einen
mächtigen Satz und schlug die Kreatur mit einem einzigen Hieb
nieder. Blut befleckte seine Klinge, als er sie triumphierend in die
Höhe reckte, eine Herausforderung gegen das dunkle Herrscherpaar
schreiend, welches auf einem Hügel thronte und noch unberührt der
Schlacht zusah.
Ein weiterer Bauer kam in seine
Reichweite, und der Reiter trieb sein Pferd an und schlug auch ihn
nieder. Schwarzes Blut zog eine lange Spur in der Luft, als er das
Schwert zu sich riss, und sein treues Pferd wieherte.
Hinter ihm wurde der Ruf von seinen
eigenen Truppen beantwortet, und sie alle schrien gemeinsam eine
Herausforderung. Sie würden ihr Volk befreien und siegreich sein,
Ruhm erlangen, für Herr und Land!
„Ihr träumt wieder, ides.“
Die sanfte, leise Stimme riss sie aus
ihrer Betrachtung der grünen Ebene heraus, auf der sie für einen
Moment tatsächlich die Bilder der Schlacht vor sich gesehen hatte.
Eine warme Brise wehte heran und spielte mit ihrem Reitkleid, mit
ihrem goldblondem Haar, und ihre grauen Augen verengten sich leicht,
als sie den scharfen Blick auf ihr Gegenüber richtete.
„Ich habe über meinen nächsten Zug
nachgedacht, Herr héahwita“, widersprach sie, obgleich sie
nicht verhindern konnten, dass sich ihre Wangen röteten.
Er lächelte nur aufgrund ihrer Worte
und setzte seinen dunklen Läufer drei Felder auf dem schwarz-weißen
Brett vor.
Sie nahm ihren zweiten Springer und
schlug seinen Läufer, und sie konnte nicht umhin, ein wenig Triumph
zu verspüren.
„Ihr benutzt Euren Springer zu viel“,
bemerkte er, die Stirn gerunzelt, wie sie stolz sah.
Ihr Zug hatte ihn überrascht; er hatte
nicht erwartet, dass sie so schnell so viele seiner Truppen in den
Tod stürzen würde.
Der Ratgeber behielt die Stirn
gerunzelt, als er über seinen nächsten Zug überlegte und
schließlich einen erneuten Bauern ihrem Schwert opferte. Er lächelte
nicht mehr, sein Gesicht war ernst, während er auf das Brett
starrte.
Für einen Moment schwebte seine Hand
über seinem König, dann jedoch rückte sein Springer vor.
Sie sah, dass er zögerte, dass er
unsicher war, und innerlich triumphierte sie. Ich bin nicht so
unwissend, wie Ihr glaubt! Ich habe einiges Wissen darüber,
wie man eine Schlacht führt!
Ihr weißer Läufer lief über das
Feld, und sie sah, wie er leicht den Kopf schüttelte.
„Das war unklug, Herrin.“
Ihre Augen blitzten. „Weshalb?“
fragte sie herausfordernd. „Ich bedränge Euren König, und Ihr
sagt, dass mein Zug unklug war?“
„In einer Schlacht muss man den
Überblick behalten“, erwiderte er. „Es nützt einem nichts, wenn
man auf den Angriff drängt, aber den Überblick über seine eigenen
Truppen verliert.“
„Ich habe nicht -“
Doch er wies auf das Spielfeld, und zu
ihrem Schrecken sah sie, wie sein Turm in ihre eigenen Reihen
gedrungen war und nun dort unheilverkündend stand. Er stand in einer
Position, in der er ihr zwar nichts tun konnte, doch sie konnte ihn
ebenso wenig schlagen.
Wann hatte er dies getan? Wann hatte er
seinen Turm dorthin gezogen? Sie hatte ihn nicht bemerkt; hatte sich
zu sehr auf den Angriff konzentriert.
Vorsichtshalber zog sie ihren König
außerhalb seiner Reichweite, bis sie ein Zucken seiner Mundwinkel
sah und bemerkte, dass dort auch eine seiner Figuren stand; sein
zweiter Läufer.
Sie war eingekesselt, ahnungslos in
eine vorbereitete Falle gelaufen, die sie nicht gesehen hatte.
Mit einem Schnauben ließ sie ihren
König dort, wo er war und setzte stattdessen ihre Dame zum Schutz
ein.
„Ihr habt mich mutwillig abgelenkt!“,
klagte sie ihn an, als er den Kopf leicht schräg neigte und
interessiert das nun veränderte Feld betrachtete. „Zudem hatte ich
nicht dies hier im Sinn, als Onkel mir sagte, ich solle lernen, wie
man eine Schlacht schlägt.“
Ein Lächeln zuckte um blasse
Mundwinkel. „Dies hier“, sagte er leise und wies mit der Hand auf
das bemalte Brett zwischen ihnen, auf dem die weißen und schwarzen
Figuren standen, „ist genauso wichtig für den Verlauf einer
Schlacht wie das Wissen, ein Schwert richtig zu führen. Ihr solltet
aufmerksam bleiben; selbst, wenn es Euch schwer fallen mag. Später
werdet Ihr einmal dankbar dafür sein.“
Sie runzelte die Stirn. „Für ein
Schachspiel?“ fragte sie verwundert, und er neigte leicht den Kopf.
„Für die Strategie, die dahinter
steht. Wenn Ihr einmal Männer in die Schlacht führen solltet, dann
müsst Ihr wissen, wie Ihr vorgehen wollt. Es nützt nichts, wenn Ihr
zwar allein sehr viele Feinde in den Tod reißen könnt, die Reihen
hinter Euch jedoch ungeordnet sind und beim ersten Aufprall
auseinanderbrechen.“
Sie sank auf ihrem Stuhl ein wenig
zusammen, senkte den Kopf. „Ich werde niemals Männer in die
Schlacht führen“, sagte sie bitter. „Ich bin eine Frau. Frauen
führen keine Männer in die Schlacht.“
„Dennoch kann eine Frau wertvollen
Rat geben, wenn sie in solcher Angelegenheit geschult ist.“
„Rat!“ wiederholte sie und
schnaubte. „Eure Berufung in Ehren, Herr héahwita, doch ich
werde nicht stumm dasitzen und zuschauen, wenn Feinde es wagen
sollten, sich vor unserer Tür niederzulassen!“
Ein dünnes Lächeln erschien in dem
blassen, klugen Gesicht. „In diesem Fall mag es für Rat auch
bereits zu spät sein“ erwiderte er, „und der einzige Weg wäre
tatsächlich, hinauszugehen und zu kämpfen. Doch würdet Ihr
tatsächlich in solch einem Fall das Leben Eurer Bevölkerung
riskieren, wenn Ihr den Feind bis zu Eurer Haustür marschieren
lasst? Denkt an Wulf.“
„Natürlich nicht!“ rief sie empört
aus. „Ich würde Reiter ausschicken, um die Grenzen zu überwachen
und gegebenenfalls dort schon gegen den Feind zu kämpfen und
zurückzutreiben.“
„Ich sehe, der Herr Théodred hat
Euch bereits einiges beigebracht“, bemerkte er. „Und was würdet
Ihr Euch davon erhoffen?“
Für einen Moment starrte sie ihn
ungläubig an, ihren Springer in der Hand. „Was ich mir davon
erhoffe?“ fragte sie, während sie einen weiteren von seinen Bauern
schlachtete. „Ich erhoffe mir davon den Frieden für mein Volk.“
„Frieden“, wiederholte er, während
er auf das Brett starrte und schließlich seinen Turm ein Feld
vorzog. „Was ist Frieden für Euch, Herrin, wenn mir diese Frage
erlaubt ist?“
„Eine Zeit, in der man nicht
befürchten muss, angegriffen zu werden“, antwortete sie prompt.
„Wo Mensch und Tier glücklich und zufrieden leben können, und der
Gedanke an jegliche Bedrohung fern ist.“
„Ich habe nach Eurer Meinung
des Friedens gefragt, ides, nicht nach der allgemeinen
Deutung.“
„Zu spät“, sagte er leise, während
er seinen Bauern in ihren Reihen bis zum letzten Feld vorzog und ihn
vom Brett nahm. Er stellte ihn an die Seite, überlegte für einen
Moment und wählte dann seinen vormals geschlagenen Läufer aus, den
er wieder auf seine Anfangsposition stellte.
Sie runzelte die Stirn, und er sah
ihren Blick.
„In einer Schlacht kann selbst ein
unnütz erscheinender Reiter einen große Unterschied machen.“ Er
zuckte mit den Schultern. „Natürlich kann man im wirklichen Leben
keine Toten wiederbeleben, aber das Bild an sich hat seine
Richtigkeit.“
Sie sog tief Luft ein, den Blick wie
gebannt auf das Brett gerichtet. „Eine Königin kann sich als Bauer
verkleiden“, flüsterte sie, und ein kurzer Schatten wie von
Verärgerung schien über sein Gesicht zu huschen.
„In der Tat“, stimmte er leise zu,
und eine gewisse Kälte hatte sich in seinen Ton geschlichen,
„vorausgesetzt, sie ist vorher bereits erschlagen worden – und
sie kann immer noch fallen, ohne etwas zu bewirken. Und die
Hinterbliebenen werden sicherlich um sie trauern.“
Für einen Moment starrte sie ungläubig
auf das Brett. „Ihr habt mich gewinnen lassen!“ klagte sie ihn
an.
„Natürlich“, erwiderte er, und
dies fachte ihren Zorn noch mehr an.
„Ihr solltet mich nicht verschonen!“
„Wie Ihr wünscht. Ich werde Euch
nicht verschonen, weder jetzt noch in Zukunft.“
A/N: Natürlich ist Grímas letzte Andeutung dunkler, als die ides zu diesem Zeitpunkt ahnt. Und außerdem ist er verärgert, dass er ihr unbeabsichtigt die Idee zu Dernhelm gab. ^^
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