Der Inhalt: Es ist wieder November, und zwischen den Nebelschwaden, die durch das Auenland schweben, geht der Geist eines Maiars umher und denkt bitter über vergangene Fehler nach.
Ich wünsche viel Spaß beim Lesen! :)
Es ist wieder die Zeit des Jahres, in
der er ungesehen hervorkommen kann. Wenn der Nebel wieder emporsteigt
und das Land mit seinem weißen Leichentuch einhüllt, dann lässt er
sich mit ihm treiben. Er gleitet lautlos durch die Hügel, bis vor
ihm warme Lichter aus runden Fenstern auftauchen.
Er weiß selbst nicht recht, was es
ist, das ihn immer wieder in die Straßen zieht, doch ehe er es sich
versieht, wandert er wieder durch diese und betrachtet die
Veränderung um sich herum.
Man sieht kaum noch Spuren.
Die Bäume sind nachgewachsen, die
damals Gefällten sind verrottet oder verarbeitet worden, um die
Wunden zu heilen, die er diesem kleinen, zähen Land geschlagen
hatte. Die große Sandgrube ist noch zu sehen, und ein wenig weiter
bei den Hügeln steht ein großer Stein mit einem kleinen Garten
drumherum.
Die Blumen in ihm sind schon verwelkt.
Auf dem Stein stehen Namen von jenen tapferen Gefallenen und den
Kommandanten der damaligen Schlacht, doch er gleitet weiter, ohne dem
Stein besondere Beachtung zu schenken. Er ist eben nur das – ein
Stein mit Namen, die ihm nichts bedeuten.
Würde sein eigener Name irgendwo
stehen, würde er dem mehr Beachtung schenken.
Keinen Stein gibt es jedoch für ihn;
sie haben sich nicht die Mühe gemacht, ihn zu würdigen. Keinen
Stein, der seinen großartigen Namen trägt: Curumo, Curunír,
Saruman!
Saruman der Weise, Saruman der
Vielfarbige, Saruman der Gefallene. Saruman der Narr.
Beinahe bildet er sich ein, Gandalfs
Lachen zu hören, welches durch den Nebel zu ihm dringt.
Es dauert einen Moment, bis ihm bewusst
wird, dass er sich das Lachen tatsächlich nicht eingebildet hat.
Vorsichtig gleitet er näher und dann hält er für einen Moment
inne, als sich die Tür zu einer Höhle öffnet und das warme Licht
einen gelben Schein auf die ansonsten graue, kalte Umgebung wirft.
„Und bedenke, Primel, dass du zum
Mittag wieder hier sein musst! Großvater erwartet, dass du dein
Versprechen hältst und seine Geschichten hören möchtest!“
„Werde ich, Mutter“, ertönt die
Antwort, und einen Moment später läuft ein junges Hobbitmädchen,
dick eingewickelt in Mantel und Schal, mit gerötetem Gesicht durch
die Straßen.
Er folgt ihr für eine Weile, doch
schon bald ist er der Beschäftigung müde, und er schweift ein wenig
ab und gleitet an eines der Fenster heran, um hineinzuschauen.
Er hasst sein Dasein, seine Schwäche,
und er beneidet die Halblinge zutiefst für ihre Freude und ihre
Zufriedenheit. Manchmal wünscht er sich, dass er sich bemerkbar
machen könnte; dass er ihnen mit einem Seufzen einen Schauder über
den Rücken jagen oder ihnen leise Worte zuflüstern könnte und
somit Zwietracht unter ihnen säen.
Doch dies ist ihm nicht möglich, denn
der kalte Westwind, der damals aufkam, hat ihm etwas genommen. Er hat
ihm nicht nur bedeutet, dass der Zugang für ihn versperrt sei; er
hat ihm auch noch den letzten Rest Macht genommen, den er noch besaß:
Seine Stimme.
Er kann nicht mehr sprechen, kann nicht
mehr handeln; er kann nur noch denken und stumm beobachten.
Er hasst dieses Dasein, in dem er ein
Gefangener seiner eigenen Gedanken ist, die wie Zahnräder ineinander
greifen und niemals still stehen. Er hasst diese Machtlosigkeit, in
der er nur lauschen kann, jedoch nichts tun. Oh, er kann sich noch
bewegen, er kann sehen; doch er kann nicht mal ein zu Boden
gefallenes Blütenblatt aufheben, geschweige denn abreißen.
Schon damals hat er diese Untätigkeit
gehasst, und deshalb hat er es auch schließlich nicht mehr in seinem
Turm ausgehalten. In manch seltenen Momenten fragt er sich, was
geschehen wäre, wäre er geblieben, doch meist verderben die
offensichtlichen Möglichkeiten ihm die ohnehin schon düstere
Stimmung.
Gandalf wäre sicherlich früher oder
später gekommen und hätte ihm wieder falsche Angebote unterbreitet;
hätte versucht, ihn zur Rückkehr zu besinnen. Um nicht von dem
Dunklen Herrscher zu sprechen, der, hätte er gewonnen, sicherlich zu
ihm gekommen und ihn zur Rede gestellt hätte. Weshalb hast du
nicht geantwortet? Weshalb hast du meinen Boten davongejagt? Du hast
mich doch nicht etwa belogen, oder?
Er schüttelt den Kopf und wendet
bitter den Blick von dem Bild der fröhlichen Familie ab, die nun
beginnt, ihr zweites Frühstück zu sich zu nehmen.
Zu diesem Zeitpunkt war er schon zu
lange von dem rechten Pfad abgewichen, er hat es gewusst.
Es hätte schon damals keine Rückkehr
für ihn geben können. Gandalf hatte ihn nur belogen, ihn verspottet
und hätte ihm, wäre er auf das Angebot eingegangen, lachend die Tür
vor der Nase zugeschlagen.
Tief in seinem geistigen Herzen weiß
er, dass dies nicht stimmt, dass Gandalfs Absichten ehrlich waren und
er ihm tatsächlich helfen wollte; doch sein Stolz (und der Neid)
erstickt diesen Funken jedes Mal aufs Neue, sollte er es wagen,
aufzuglühen.
Nein, besser ist es, sich einzureden,
dass man selbst im Recht war. Dass man selbst schlau genug war, den
Lügen des Anderen auszuweichen und ihn zu durchschauen.
--
A/N: Es war geplant, dass der OS damit enden sollte, dass Saruman es nach Beutelsend zieht, Frodo durch das Fenster beobachtet und eine Verbindung zwischen sich und ihm verspürt, da sie beide eine Wunde haben, die sie nicht loslässt. Oh, und natürlich wäre ein gewisses Maß an grimmiger Zufriedenheit mit dabei, da sich seine Prophezeiung, dass Frodo kein "langes und glückliches Leben" haben wird, sich schließlich bewahrheitet hat.
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