Donnerstag, 16. August 2018

Die Sache mit dem Wein

If you ever want an answer to who your character is when drunk, the simplest question is: what would they do if they thought there were no consequences for their actions?
That‘s who they are.
- Michi from howtofightwrite.tumblr.com, in Q&A: Bar Fights


Mal wieder analysiere ich mein eigenes Geschreibsel. Wenn das jemandem auf die Nerven geht, bitte schreien. (Ich werde es wahrscheinlich je nach Inspiration trotzdem tun. Und es ist schließlich bezeichnend, dass einer meiner meist aufgerufenen Blogeinträge sowohl die beantworteten Fragen nach dem „Durchgang von Cwideas“, als auch meine „Altenglischfehler“ aus Cwideas sind. Interesse besteht anscheinend doch.)
Es wird der Sinn des Alkohols im Kapitel diskutiert werden, die dunklen Seiten mancher Charaktere und der Fakt, dass sowohl Saruman, Gríma und Krähenfuß allesamt auf ihre eigene Art und Weise verdammte Bastarde sind. Ich schätze, der letzte Fakt ist nichts Neues.


Spoilerwarnung zu Kapitel 41 von Cwideas!



Die Sache mit dem Wein! Zuallererst muss ich sagen, dass es eine ziemlich spontane Aktion war, geboren aus einer meiner vielen Schreibblockaden heraus – und, geben wir es zu, dem Stress, eine Hausarbeit abgeben zu müssen. Ich hatte sogar einen kleinen Metatext mit Créofan angefangen, in dem er fröhlich mit seiner Weinflasche winkt und ich versuche, ihn abzuwimmeln, weil ich keine Zeit habe.
Doch so spontan das Kapitel auch entstanden sein mag, oder eher die Szene, so ist sie doch wichtig für die Geschichte. Sie macht noch einmal deutlich, weshalb Gríma und stuntfola aneinander hängen: Angst. Und Saruman nutzt dies aus.
Beginnen wir also, und beginnen wir mit Créofan/Krähenfuß.
Der Strolch kommt an, mit noch besserer Laune als sonst – logisch, es ist nicht alle Tage, dass man eine ganze Flasche Wein für sich bekommt. Ich bin mir sicher, dass er selbst gar nicht mal so viel davon getrunken hat; das haben wohl eher andere getan, ehe die Flasche bei ihm gelandet ist.
Und da er der einzige Strolch der gesamten Gruppe ist, der Gríma nicht entweder ignoriert oder vollkommen als Verräter verachtet, will er nett sein. Dem Ratgeber vielleicht ein bisschen Ablenkung von dem ganzen Stress und der eintönigen Reise geben.
Natürlich weiß er nicht, dass Sarumans Geschenke meist vergiftet sind und Widerhaken haben.
Gríma selbst nimmt die Flasche ohne allzu viel zu überlegen an, und stuntfola beobachtet ihn dabei, wie er versucht, die Sorte des Weines zu riechen. Abgesehen davon, dass ich hier ein Easter Egg zu einer meiner anderen Geschichten einbauen konnte (Ceren, Hauptfigur in Frischer Wein) zeigt dies, dass Gríma einen weitaus höheren Status als der Rest der Strolche hat, und dass er sich nicht zu schade ist, das Krähenfuß noch einmal unter die Nase zu reiben. Der ist darüber ungläubig amüsiert und versteht nicht, weshalb der Ratgeber nicht wie jeder andere einfach die Flasche zum Mund führt und trinkt.
Gríma zeigt hier mal wieder den Unterschied seiner ehemaligen Stellung, dass er sie nicht vergessen kann – und dass er die Strolche insgeheim verachtet und immer noch in seinem elitären Denken drin ist, obwohl er schon so tief gesunken ist. Was für ein wunderbares Zitat gibt Pratchett?
If civilization were to collapse totally and the survivors were reduced to eating cockroaches, Madame Dawning would still use a napkin and look down on people who ate their cockroaches the wrong way around.“ (Maskerade – Terry Pratchett)
Aber natürlich hat Saruman nur auf solch eine Gelegenheit gewartet und wählt dieses für seinen Auftritt.

Man bemerke, dass sofort die Stimmung umschlägt, sobald Saruman auftaucht: Krähenfuß wird demütig und zahm, Gríma kämpft innerlich darum, die Fassung zu bewahren und stuntfola wird nervös – will heißen, noch nervöser als bereits vorher.
Der Zauberer verliert auch keine Zeit damit, auf den Punkt zu kommen.

Es sind nur vier oder fünf Flaschen für alle; nicht annähernd genug, um irgendeinem von ihnen die Sinne zu rauben. Ich glaube nicht, dass du irgendetwas zu befürchten hättest, Schlangenmädchen. Zudem schlafen die Meisten schon – etwas, das ihr vielleicht auch tun solltet.

Klingt, oberflächlich gesehen, wie ein gutgemeinter Ratschlag. Wenn man jedoch bedenkt, dass der Istar einen Moment später Gríma zwingt, die Flasche noch weiter zu leeren, bekommt das Ganze einen düsteren Unterton und macht sehr deutlich, dass Saruman mit Absicht die Strolche in der zweiten Person Plural angesprochen hat.
Er macht mit seinen Worten stuntfola noch einmal deutlich, in was für einer Gesellschaft sie sich befindet – umgeben von lauter ungewaschenen, gewaltbereiten und gelangweilten Männern – und dass Gríma sich nicht so sehr von ihnen unterscheiden muss, wie er selbst denken mag. Die implizierte Vergewaltigungsdrohung ist da. (Ist es heuchlerisch, dass ich selbst eigentlich keine Vergewaltigungen, ausgeführt oder angedroht, in Büchern lesen mag, aber selbst immer wieder solche einbaue?) Er macht ihr mit Absicht Angst, um einen Keil zwischen sie und Gríma zu treiben.
Gleichzeitig sind seine Worte eine Provokation an den Ratgeber: er fordert ihn heraus, aktiv zu werden. Etwas zu tun, die Chance zu nutzen, sich an den Strolchen zu rächen. Sich an Fréareth zu rächen, der stuntfola schließlich im letzten Kapitel so viel Angst eingejagt hat. (Dass Gríma eher wütend auf stuntfola sein dürfte, weil sie sich als seine Schwester ausgab, weiß er natürlich nicht.)
Noch hat Gríma genug Selbstkontrolle, um darauf nicht einzugehen, und von daher geht Saruman einen Schritt weiter; zwingt ihn, den Wein zu trinken – und rammt dann das metaphorische Schwert in Grímas Brust.

Doch wenn wir schon von Anrühren sprechen... es ist schon merkwürdig, was du darunter verstehst, auf etwas Anspruch zu machen. Du sagst, dass das Schlangenmädchen dein wäre, dennoch erinnere ich mich an ganz ähnliche Worte, vor langer Zeit... vor neun Jahren, um genau zu sein. Was ist daraus geworden, frage ich? Mittlerweile dachte ich, dass du gelernt hast, dass Taten manchmal deutlicher als Worte sprechen.

Er hat mit einem Schlag sein Ziel erreicht – er hat Gríma gedemütigt, er hat ihm noch einmal unter die Nase gerieben, dass seine Pläne gescheitert sind (und Éowyn unerreichbar) und er provoziert ihn wieder, aktiv zu werden. Selbstkontrolle Selbstkontrolle sein zu lassen. Zum Tier zu werden, noch eine Stufe weiter abzusinken. (Wenn man bedenkt, dass Gríma in seinen letzten Momenten auf Sarumans Rufe auf allen Vieren wie ein Hund angekrochen kommt…)
Mein Headcanon-Gríma hat sich im Laufe der Jahre zu einem ziemlich machthungrigen Kontrollfreak entwickelt. Von daher ist er bei mir kein sonderlicher Fan von Alkohol, da er lieber seinen Kopf klar behält, um Situationen zu seinem Vorteil nutzen zu können. Ein weiterer Grund, weshalb es für ihn eine ziemliche Demütigung sein muss, jetzt mit den Strolchen unterwegs zu sein, und einer der Gründe, weshalb er stuntfola nahe bei sich behält – er kann ihr Angst machen und damit die Kontrolle über sie behalten; er fällt selber somit nicht ganz auf die unterste Stufe wie im Buch, sondern hat stuntfola noch unter sich.
Und was hat der Alkohol damit zu tun? Ich zitiere noch einmal mein Eingangszitat: „If you ever want an answer to who your character is when drunk, the simplest question is: what would they do if they thought there were no consequences for their actions?
That‘s who they are.
Gríma ist ein Kontrollfreak und hat stets eine ziemliche Selbstkontrolle; musste sie für seinen Beruf als Ratgeber und Spion besitzen, ansonsten wäre er schon viel früher als erst 3019 aufgeflogen.
Ich glaube nicht, dass er genug getrunken hat, um wirklich angetrunken zu sein. Saruman weiß das. Gríma selbst weiß das. Krähenfuß weiß das.
Und trotzdem verrutscht seine Maske und etwas Dunkleres kommt darunter zum Vorschein.
Sarumans Worte haben ihren Reiz; würde Gríma ihnen nachgeben, hätte er wieder die uneingeschränkte Kontrolle über stuntfola. Theoretisch, zumindest; er hat keine Ahnung, wie sie auf so etwas reagieren würde. Fakt ist, dass er in dem Moment mal wieder hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt und in Selbsthass versunken ist, und generell angepisst von der Situation ist – und ein bisschen unter Schock steht. Sarumans Angriff hat ihn doch ein bisschen mehr als erwartet getroffen, und sein Hass auf den Istar wächst.
Er weiß auch, dass Saruman irgendeine Reaktion von ihm erwartet, und dass er es sich nicht erlauben kann, schon offen durchblicken zu lassen, dass er plant, den Istar umzubringen. Also muss er mitspielen, und so schleift er stuntfola tiefer in den Wald, weg von den anderen, und jagt der Armen dadurch noch mehr Angst ein. Es hat zumindest Spaß gemacht, stuntfolas Panik zu beschreiben, auch, wenn alle Leser sich sicher waren, dass Gríma ihr nichts antun würde. Was ich, ehrlich gesagt, fast ein bisschen schade fand, aber ich schätze ich habe mir da selbst den Weg verbaut.
Krähenfuß muss natürlich noch einen Witz reißen, was noch einmal deutlich macht, dass ihm an stuntfola wenig liegt, wenn überhaupt. Aber er hört auf Gríma und verschwindet.

Mehr in der nächsten Kapitelanalyse!

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