Samstag, 21. September 2019

Biff und die Sache mit Judas


Mal wieder lese ich ein Buch, diesmal „Lamb: The Gospel According to Biff, Christ‘s Childhood Pal“, von Christopher Moore.
Es ist amüsant, aber wann habe ich je etwas auf diesem Blog über ein Buch geteilt, wenn es rein amüsant wäre? Nein, es gab mal wieder einen Moment, in dem ich zu gerne das Buch gegen die Wand geworfen hätte.
Der Grund ist Judas.
Warnung: rant


Vorab kurz zum Inhalt: Wie der Titel bereits sagt, geht es in dem Buch über die ausgelassenen Jahre von Jesus/Joshuas und seinem bestem Freund Levi, auch Biff genannt. Auf der Suche danach, wie er am Besten der Messiah sein kann, reisen Joshua und Biff quer um die Welt, von China über das Himalaya nach Indien und wieder zurück, lernen alle möglichen Weisheiten kennen und kehren dann zurück, und die Originalhandlung nimmt ihren Lauf, mit einer kleinen Abweichung.
Biff bringt Judas eigenhändig um, als ihm auf einmal klar wird, dass er Jesus im Garten Gethsemane verraten hat. (Und ja, die Erkenntnis kommt, Zitat, „like a flash“ aus dem Nichts. Keinerlei Erklärung warum, weshalb, von einem Moment auf den Nächsten ist Biff in mörderischer Raserei.)
Und das war der Moment, wo ich liebend gerne das Buch an die Wand geworfen hätte.




Es kann sein, dass ich teilweise noch zu sehr das Musical Jesus Christ Superstar im Kopf hatte, wo Judas nachvollziehbarer herüberkommt. Es kann sein, dass es meine Vorliebe für komplexere Verräterfiguren ist, die mehr als nur eine einzige Motivation haben und zweifeln können (weshalb ich Pettigrew nicht dazu zähle. Ja, ich weiß, Band 7, zählt für mich trotzdem nicht).
In dem Moment, in dem Biff Judas erblickt und ihm Assassin‘s Creed-mäßig über die Mauern und Dächer nachrennt, in dem Moment ist meine (teilweise nur spärlich vorhandene) Sympathie für ihn vollkommen abgerutscht.
Es ist nicht zu bestreiten, dass Biff gerade mitansehen musste, wie sein bester Freund gekreuzigt wurde. Es ist nicht zu bestreiten, dass er einige schreckliche Wochen hinter sich hat, zu wissen, dass sein bester Freund sterben wird, dieser dies weiß und nichts dagegen unternimmt.
Es ist aber auch nicht zu bestreiten, dass Joshua seinen Tod voraussagte. Es ist nicht zu bestreiten, dass Joshua Judas sagte, wo er zu finden sei.
In einem klassischem Fantasyroman wäre Judas ein Held, die Prophezeiung erfolgreich erfüllt, und sympathisch (oder gar ein Märtyrer), solche Schuldgefühle zu haben, dass er sich am Ende selbst umbringt. In einem modernen RPG wäre Judas ganz einfach ein Protagonist, der Aufträge erfüllt: „Hier, verrate deinen besten Freund, damit wir ihn umbringen können, kriegst Geld dafür.“ „Okay! Schon passiert! Die Leute im Armenhaus werden sich freuen, da werde ich investieren, dass es denen besser geht.“


Es macht mich wütend, zu lesen, dass die Figur von Judas, die Reue zeigt und das gekaufte Geld versteckt, hier von Anfang an als Fanatiker beschrieben wird, der nur mitmacht, weil er hofft, ein paar Römer umbringen zu können. (Das lässt die beim Passahfest gesprochene Zeile „Wir hätten das Geld den Armen geben können!“, mit der er Maria Magdalena anfährt, weil die damit Öl für Joshua gekauft hat, irgendwie aus dem Zusammenhang gerissen erscheinen. Da Judas ansonsten nicht viel Aufmerksamkeit bekommt und sich der Autor auch nicht die Mühe macht, seine Beweggründe zu erforschen, liest sich das sehr oberflächlich, als ob sich der Autor dachte: „Hm, das steht so in der Bibel. Das darf ich nicht abändern und Judas gleich verrecken lassen. Mist auch.“)
Und es ist die mangelnde Interaktion zwischen Judas und Biff, die mich vielleicht so sehr aufregt. In den Händen eines besseren Autoren (ja, ich bin pissig und überschreite diese Linie des Anstandes) hätte das alles vielleicht ein bisschen mehr Tragweite gehabt, weil wir Judas ein bisschen mehr kennengelernt hätten, und somit wäre der Schock über seinen Verrat größer gewesen. (Für den Protagonisten, zumindest. Die Bibel ist wohl das am meisten gespoilerte Buch in der Geschichte der Menschheit, in der alle bereits das Ende kennen, ehe sie zu lesen anfangen.) Ich meine, das gesamte Buch über war ein Hitchcok-ähnliches Level an Suspense da, weil man wusste, dass Jesus am Ende sterben wird. Weshalb nicht das Gleiche mit Judas aufbauen? Nein, ein erfundener bester Freund für Jesus ist wichtiger, und die ganzen Apostel nur Beiwerk. Sympathie für einen Verräter erwecken, der gute Intentionen hatte? Nein, natürlich nicht. Er ist ein Verräter und hat Blutgeld angenommen, war bestechlich (mögliche noble Gründe sind unwichtig) und verdient nicht einmal das Schicksal, welches ihm im Original zuteil wurde, sondern wir müssen ihn noch eine Stufe herunterziehen. Er darf nicht menschlich sein und Reue empfinden.
Da hilft das hinterher geschobene „I‘m sorry“ von Biff auch nicht viel. Noch, dass er Judas in den Tod folgt.
Herzlichen Glückwunsch, Biff. Du hast es geschafft, dass ich Tränen vor Zorn und dem Gefühl von Ungerechtigkeit in den Augen habe; etwas, das von literarischen Figuren bisher nur Thorongil und Gandalf geschafft haben, und mit denen habe ich mich jahrelang beschäftigt. Noch weniger gemindert ist mein Zorn durch den Fakt, dass Biff am Ende ein (dermaßen unverdientes) Happy End bekommt. Was ist mit Judas? Judas verdient das natürlich nicht, er hat nur das getan, was er für richtig hielt.
Reue und Vergebung wird überbewertet. Ironisch, in einem Buch, in dem es über Jesus und seine Lehren geht.

Ich kann noch nicht einmal sagen, dass ich das Buch hasse, aber… ich hasse das Ende vom Buch.

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