Sonntag, 7. April 2019

"First Law" - 2. Kapitel (Teil 1) "Fragen darüber, was das Ganze eigentlich soll"

Wir sind mal wieder bei Abercrombie und dem merkwürdigen Buch, welches sich „The Blade itself“ nennt.
Das zweite Kapitel trägt den Namen „Questions“ und ist aus der Sicht eines der interessanteren Charaktere.





Why do I do this? Inquisitor Glokta asked himself for the thousandth time as he limped down the corridor.“ Wunderbar, Glokta, ich frage mich das auch. Überhaupt frage ich mich, weshalb ich immer instinktiv Glotka anstatt Glokta gelesen habe. Angenehmerer Klang? Leichter auszusprechen? Wie dem auch sei, im Prinzip falsch.
Why would anyone want to do this?“ fragt Glokta sich wieder, und wir erfahren nicht nur, dass der Gang ziemlich muffig ist, sondern auch, dass Glokta verkrüppelt ist und einen Stock zum Gehen braucht. „… then the tap of his cane, then the endless sliding of his left foot, with the familiar stabbing pains in the ankle, knee, arse and back. Click, tap, pain. That was the rhythm of his walking.” Das macht Glokta schon zu einem weitaus interessanteren Charakter als Logen. Außerdem ist es interessant, dass Glokta einen derberen Sprachgebrauch hat und es sich bei ihm authentischer anfühlt als bei Mr.-ich-jammere-und-bin-ein-starker-Waldläufer-Logen. Bei Logen fühlt es sich einfach angefügt an, weil Logen cool und abgebrüht wirken möchte. So wirkt es, zumindest.
Der Gang, den Glokta entlang geht, ist fensterlos, von Fackeln erhellt und ab und zu von dicken Türen unterbrochen, die mit Eisen beschlagen sind. Glokta glaubt, dass er hinter einer Tür einen gedämpften Schrei hören kann, und fragt sich, was für ein armer Tropf wohl gerade befragt wird, was für Verbrechen er begangen hat und was für Geheimnisse er hat.
Und hier muss ich wohl etwas weiter ausholen.

Das gleiche Szenario war anfangs für eine meiner Geschichten geplant – eine Folterszene, in der die Protagonistin gefragt wird, wo ihre Verwandten sind, was mit ihrem Dorf passiert ist und wo dieser dreckige Verräter hin ist, mit dem sie unterwegs war.
Nur habe ich im Laufe meiner Recherche über das Thema bemerkt, dass das nicht der Sinn von Folter ist, und dass ich mir zu sehr von Filmen und Schönliteratur habe beeinflussen lassen, und ich war recht begeistert, als ich bemerkt habe, dass die wahren Hintergründe umso besser auf meine Geschichte passen.
Folter ist nicht dazu da, um Informationen zu extrahieren, denn das Opfer wird im Laufe der Zeit einfach nur noch alles sagen, um dafür zu sorgen, dass der Schmerz/die Langeweile/der Hunger/Durst/Desorientierung aufhört. Der Sinn ist, Falschinformationen zu pflanzen, einen Sündenbock zu erschaffen, jemanden dazu zu bringen, ein Verbrechen zu gestehen, welches er jedoch gar nicht begangen hat.
Und wie wunderbar ist es, wenn meine Protagonistin ohnehin keine Erinnerungen an ihre Vergangenheit hat? Wie lange würde es dauern, um sie davon zu überzeugen, dass sie selbst das Feuer gelegt hat, welches ihr Dorf zerstört hat? (Ich verfalle für einen Moment mal wieder in mein böses Lachen, entschuldigt mich. Manchmal ist es toll, wie viel grausamer eine Szene wird, wenn man nur entsprechend recherchiert. Erklärt ein bisschen, weshalb ich sie nicht schreiben kann.)

Um zu Glokta zurückzukehren – er wird von seinem größten Nemesis in seinen Gedanken unterbrochen: Treppen. Er überlegt kurz, dass er, wenn er jeden Menschen foltern könnte, würde er auf jeden Fall den Erfinder der Treppen wählen. Und man kann seine Gedanken nachvollziehen. Er sagt auch, dass der Abstieg anstrengender ist als der Aufstieg, was eine interessante Anmerkung ist.
Der Mann nimmt sich ein wenig Zeit, seinen Feind zu beschreiben, dann macht er sich auf den Aufstieg – seitwärts wie eine Krabbe. Ich frage mich sofort, ob die Stadt wohl am Meer liegt.
Er fragt sich, weshalb sein Nacken/Hals schmerzt, wenn er die Treppen heruntergeht, da der Hals ja nicht sein Gewicht trägt, und ich widerspreche, dass es wohl die Anspannung der Muskeln ist.
Und dann passiert, was passieren muss: Glokta ist vor den letzten vier Stufen, mit zitternder Hand und schmerzendem, linken Bein – und rutscht ab und fällt. Die Beschreibung klingt eher so, als wenn er eine ganze Wendeltreppe hinunterstürzt anstatt von nur vier Stufen. Währenddessen verflucht Glokta sich die ganze Zeit, kommt aber zu seiner Überraschung tatsächlich stehend unten an.
And here it is. That horrible, beautiful, stretched out moment between stubbing your toe and feeling the hurt. How long do I have before the pain comes? How bad will it be when it does?
Ich finde es bewundernswert, dass a) Abercrombie sehr schön diesen Horror des Wartens auf den Schmerz, bzw. etwas sich stets wiederholendes, unangenehmes beschreiben kann, aber b) es etwas merkwürdig ist, wenn man bedenkt, dass Glokta im restlichen Verlauf des Buches bei Weitem nicht so sehr jammert und ständig zu Fuß unterwegs ist, anstatt zum Beispiel die Kutsche zu nehmen, oder so. (Was ich vergessen habe, zu erwähnen – Glokta fehlen die vorderen Schneidezähne. Er wurde offensichtlich gefoltert.)
Die Krämpfe des Schmerzes kommen schließlich, überwältigen ihn, und ich habe ehrlich Mitleid mit ihm. Sein Leben muss die Hölle sein, wenn allein Treppen das mit ihm anrichten.
Truly a thrill. Did I enjoy it? For most people stairs are a mundane affair. For me, an adventure!” Glokta ist immens selbstverachtend und sarkastisch, eine Kombination, die ich teilweise von mir selbst kenne und die ich in literarischen Figuren stets begrüße. Ich mag Glokta, er ist sympathisch. Nicht ohne Grund eine meiner Lieblingsfiguren im Buch (wenn auch nur dem Fakt geschuldet, dass er mitunter das Beste ist, was ich in diesem Buch bekommen kann).
Glokta hat in der Zwischenzeit sein „Büro“ erreicht und tritt ein – im Grunde ist es ein Raum mit zwei gegenüberliegenden Türen, zu tief liegender Decke, zu hell erleuchtet und, wie in klassischen Kerkern, feucht. Ein an den Fußboden geschraubter, in ziemliche Mitleidschaft gezogener Tisch mit einem Paar passender Stühle steht in der Mitte.
Ein nackter Mann sitzt in dem einen Stuhl, die Hände fest auf den Rücken gefesselt und mit einem braunen Sack über dem Kopf. Einer von Gloktas Handlangern, ein großer Albino, „Practical Frost“, steht hinter ihm.

Glokta setzt sich unter Schmerzen hin und entspannt sich, so gut es geht. Er überlegt, dass er, wenn er die Möglichkeit hätte, jeglichem Mann die Hand zu schütteln, würde er den Erfinder der Stühle nehmen, weil die sein Leben einfacher gemacht haben. (Mag mir jetzt so vorkommen, aber die beiden Phrasen kamen mir zu kurzweilig hintereinander.) Practical Frost zieht dem Mann den Sack vom Kopf.
Der Mann, Samuel Rews, blubbert sofort los, kaum, dass er Glokta sieht. („You are my friend, Glokta!“) Glokta beleidigt ihn gedanklich und unterbricht ihn dann, tut so, als wenn er ihn noch nie zuvor gesehen hat und fragt Practical Frost nach ihm. Der hat eine „Practical’s Mask“ auf, die die untere Hälfte seines Gesichtes bedeckt und aus Leder ist. Glokta bemerkt, dass er noch nicht einmal geblinzelt hat, seit er eingetreten ist.
It’s me, Rews! […] Salem Rews, you know me, Glokta! […] we’re friends!” Rews blubbert weiter verzweifelt vor sich hin, und wir erfahren, dass es anscheinend vor nicht allzu langer Zeit einen Krieg gegeben hat, in dem Glokta und Rews gemeinsam gekämpft haben. Daher hat Glokta wahrscheinlich auch seine Verstümmelungen.
Glokta geht zumindest nicht darauf ein, (ich frage mich, weshalb Rews dann auch immer brav verstummt, wenn Glokta die Hand hochhält) und gibt dem Leser etwas Exposition darüber, wer Rews ist. Der ist nämlich ein reicher Kaufmann, aus der Gilde der Stoffhändler… und ein Verräter, der von der Inquisition geschnappt wurde, weil er Steuern hinterzogen hatte.
Rews ist bei dieser Offenbarung sehr verblüfft, und Glokta spielt seine Rolle weiter, bemerkt zwischendrin, wie er sich einen Zahn leckt.
Der Inquisitor (mittlerweile darf ich das Kind wohl beim Namen nennen), sagt, dass er Rews vielleicht mal gekannt habe, es jetzt aber nicht mehr tut, und ob Practical Frost sich nicht vorstellen möchte.
Scheint ein Ritual zu sein, denn Practical Frost schlägt Rews so fest in das Gesicht, dass dieser vom Stuhl fliegt.
Ich fühle mich an Batman erinnert, der hat den Joker in der Verfilmung auch so begrüßt. (Das Buch wurde 2006 veröffentlicht, also sechs Jahre vor dem „Dark Knight“-Film.)
Rews wird von Frost wieder auf den Stuhl gesetzt, und Glokta reflektiert, dass manche Männer von Schlägen weich werden, manche hart, und Rews scheint zu Letzteren zu gehören, was er nicht erwartet hat.
Rews spuckt dramatisch Blut auf den Tisch und faucht Glokta an, dass er niemals damit durchkommen werde, weil die Stoffhändlergilde ja ehrenhaft und mächtig ist. Seine Frau wird jetzt schon eine Petition an den König für seine Freilassung stellen!
Ah, your wife.“ Glokta lächelt traurig und spinnt eine Lüge darüber, dass die Frau ja ein junges Ding gewesen ist, zu jung für Rews. Die jedenfalls kam mit den Büchern an, all seinen Büchern. Zumindest hört es sich so an, aber anscheinend ist das sogar die Wahrheit. Huh.
Assistent Frost gibt Rews Feder und Tinte für sein Geständnis, während Glokta weiter redet und laut überlegt, dass er ihn ja nicht wehtun will, dass es einfacher für ihn wäre, ihm nicht wehzutun.
Oder dass er, wenn er schweigt, seine Instrumente holen wird und dass sein Körper unkenntlich später im Meer herausgefischt werden wird… während ich ein wenig die Augen verdrehe, denn dieses Gefühl des Terrors kommt gerade so gar nicht bei mir an. Glokta klingt einfach nur wie ein schlechter Lügner, und Rews ist dämlich, dies zu glauben.
Glokta wird zumindest gestört, denn es klopft an der Tür. Severard ist angekommen, der zweite Assistent von Glokta, verbleibt jedoch noch vor der Tür.
Rews hat durch das Klopfen an der Tür neue Hoffnung und neue Kraft geschöpft und verneint heftig auf die Frage, ob er gestehen möchte. Daraufhin lässt Glokta ihn mit Practical Frost allein, damit er noch mehr geschlagen werden kann. Hurray.



Und ich mache hier einen Cut, denn ich bin gefühlt gerade erst bei der Hälfte des Kapitels, und Glokta mag zwar interessant zu lesen sein, aber Abercrombie beweist noch, wie gut er andere Charaktere dämlich erscheinen lassen kann, damit seine Protagonisten schlau herüberkommen.
Bis zum nächsten Teil.

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