Samstag, 26. Mai 2018

Judas und der Verrat

Um etwas klarzustellen – ich werde hier nicht über die Bibelgeschichte reden, sondern über das Musical Jesus Christ Superstar von Andrew Lloyd Webber, welches die biblischen Figuren noch einmal nimmt und more lifelike zeichnet, mehr menschlicher.Und über die Begründung, weshalb ich die offensichtliche Tolkienische Parallele zu Judas nicht ziehen werde, sondern weshalb Judas für mich tatsächlich mehr einen anderen Charakter repräsentiert.




Ich habe das Musical mittlerweile viermal gesehen, drei Male davon live. An das erste Mal kann ich mich kaum erinnern; nur, dass es eine sehr kleine Bühne in einem kleinen Theater war mit einer vier-Mann-Besetzung. Nicht das großartige Spektakel mit Drehbühne, live-Orchester, auf-der-Bühne spielenden Bassisten und Gitarristen und von der Decke kopfüber hängenden, dabei singenden Schauspielern. (Immer noch eine großartige, mich nachhaltig prägende Darstellung vom dänischen Pontius Pilatus-Darsteller Jacob Madsen Kvolt – so stellt man eine Traumsequenz dar!)
Das zweite Mal war der klassische Spielfilm von Norman Jewison, und dann kam im Jahr 2017 die dänische Version im Aarhus Teater, die mich… sehr positiv überwältigt hatte, mit Simon Mathews als Jesus – und meiner Meinung nach dem besten Jesus, den ich bisher gesehen habe. Vor Allem Herodes hat einen grandiosen ersten Auftritt – er läuft die senkrechte hintere Wand hinunter, als wäre es der Boden und hat dabei einen goldenen Umhang an, der die gesamte Wand bedeckt. Es mag vielleicht auch an einer gewissen Art Nationalstolz liegen, dass ich die dänische Version bisher am besten finde, vom Rhythmus und der Sprache her, da sie ja doch näher am englischen Original dran ist.
Zu dem Zeitpunkt kannte ich natürlich bereits den Inhalt des Stücks, doch die Menschen, mit denen ich dort war (die christliche Uni-Gemeinde) haben uns vor dem tatsächlichen Sehen des Stücks noch einmal den Inhalt etwas näher geführt und erklärt, weshalb die Rockoper so besonders ist.
Sie hat viel mit Unsicherheit, Zweifel und Angst zu tun; es ist gar nicht so sehr die Liebesgeschichte von Maria Magdalena und Jesus, die sehr im Hintergrund abläuft, und außerdem kann argumentiert werden, dass zwischen Jesus und Judas sehr viel mehr Chemie zu liegen scheint als zwischen Jesus und Maria.
Und das ist einer der Gründe, weshalb Judas tatsächlich nicht meine Lieblingsfigur in dem Stück ist und weshalb sie für mich nicht in das Schema passt.

Man kann natürlich die offensichtliche Parallele ziehen – Judas verrät Jesus, nimmt sehr viel Geld von den jüdischen Hohepriestern entgegen und tut dies im Grunde für seine eigenen Zwecke.
Klingt sehr nach Gríma, der jüdische Hohepriester Kaiphas zumindest würde gut in das Saruman-Schema passen.
Aber weshalb tut Judas das wirklich?
Er will sich mit dem Geld nicht selbst bereichern – er will es an die Armen geben, da er selbst einen solchen Hintergrund hat. Er versucht, Jesus davon zu überzeugen, dass sein Handeln irrsinnig und zu gefährlich wird; er möchte nicht so viel Aufmerksamkeit auf sie lenken und den Zorn der Hohepriester riskieren. Judas denkt rationaler als Jesus in dem Augenblick; er möchte helfen. Jesus hingegen sagt, er müsse die Welt retten und wirkt demnach beinahe größenwahnsinnig; er zweifelt aber an den „Aufgaben“ seines himmlischen Vaters.
Judas verrät Jesus an Kaiphas und die Hohepriester, die jedoch erst ziemliche Überzeugungsarbeit leisten müssen, weil Judas es trotz Allem nur sehr, sehr widerwillig tut.
Und da fehlt mir das Kalte, Berechnende meines Lieblingsratgebers. Tatsächlich sehe ich in Judas mehr das Opfer, das durch die Umstände zu einem radikalen Handlungsschritt gezwungen wird, in dem Bestreben, Gutes zu tun.
Ich weiß nicht ganz, weshalb da jetzt so sehr Faramir wieder in meinem Kopf auftaucht; ich fürchte, ich bin in der Hinsicht sehr von der Filmversion inspiriert. Faramir war für mich immer jemand, der eher bereit schien, sich für etwas zu opfern; mein Beispiel dafür wäre, dass er beim Angriff auf die Tore Minas Tiriths noch einmal zurückreitet, um seinen gefallenen Untergebenen zu helfen – obwohl er sich bereits in Sicherheit hätte bringen können. Und ich muss zugeben, dass es mich fast mit einer gewissen, grimmigen Befriedigung erfüllt, dass er für sein Verantwortungsgefühl mit dem schwarzen Pfeil bezahlen muss, der ihm den Schwarzen Atem bringt.
Judas ist ähnlich; er bezahlt für seinen Verrat mit dem Tod – dem selbstgewählten Tod, da er vor lauter Schuldgefühlen nicht mehr leben kann und sich erhängt.
Gríma würde so etwas niemals tun; zumindest nicht mein Gríma – er hängt zu sehr am Leben, verdrängt eher Schuldgefühle und schiebt diese auf Andere, als dass er daran zerbrechen könnte. Weshalb sonst sollte er unter solchen Bedingungen sechs Monate lang im Orthanc mit Saruman verbringen und ihm dann auch noch einen Monat lang durch die Wildnis folgen? Hätte Gríma seinen König mit einem Kuss verraten? (Nein; er spuckt ihm sogar vor die Füße.) Hätte Gríma Saruman angefleht, den König am Leben zu lassen? (Wissen wir nicht. Mein Gríma zumindest hätte nicht gefleht, sondern erbeten, und das aber auch nur, um das Leben einer anderen Person als dem König zu verschonen.)
Fakt ist (was, denke ich, auch mein Problem mit Faramir ist): Judas ist mir nicht zwiespältig genug. Er zweifelt, ja, aber seine letztendlichen Loyalitäten liegen sehr deutlich offen, nämlich bei Jesus. Genauso, wie Faramirs Loyalitäten immer noch sehr offensichtlich bei seiner Stadt, seinem Land, seinem Vater liegen, und er macht sich für all diese Dinge auf, um das Böse zu bekämpfen. Judas hat Ähnliches im Sinn; er nimmt das Geld der Hohepriester an und hat sich Jesus angeschlossen, weil er den Armen helfen möchte und glaubte, dass Jesus das hätte schaffen können – nur lässt sich der lieber als Gottes Sohn feiern.
Es ist also, im Grunde, kein Wunder, dass Judas nach einigen Jahren frustriert an seinem Anführer zweifelt und beginnt, ihn in Frage zu stellen.

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