Samstag, 15. Oktober 2016

"Du bist eine Frau, du sollst nicht kämpfen!" sagte Derjenige, der eine Schildmaid zur Schwester hatte

Ich frage mich, weshalb die Leute immer gerade Éomer in den Mund legen, dass eine Frau nichts auf dem Schlachtfeld zu suchen habe. Hat er das irgendwo genau so gesagt? Sprechen da die Filme mehr als die Bücher, oder habe ich die Bücher einfach mal wieder nicht gut genug in Erinnerung?



Ich habe nicht recherchiert, muss ich dazu sagen; ich schreibe das einfach aus dem Gedächtnis heraus (welches, was Éomer betrifft, schlecht genug ist).
Ich finde diese Einstellung nämlich eigentlich sehr merkwürdig, gerade für Éomer! Jeden anderen würde ich verstehen, aber nicht ihn!

Zuerst: Ich kann mir ein wenig vorstellen, woher das kommt. Da wäre einmal der Fakt, dass er ziemlich wütend wird, als er seine Schwester halbtot auf dem Schlachtfeld findet. Der Fakt, dass er mit neuen Augen auf seine Schwester blickt, nachdem Gandalf ihm erklärt hat, was alles in ihr vorgegangen sein muss. Der Fakt, dass er im Film seiner Schwester sagt, dass eine Schlacht nichts für eine Frau ist.
Ich glaube jedoch, dass die Leute ihn missverstehen. Weshalb sonst würde er kein Wort dagegen sagen, dass Éowyn Harnisch und Schwert bekommt, um die Bevölkerung zu führen? Das ist genauso ein Akt des Krieges, den sie damit annimmt; sollte Éomer sich nicht auch dagegen wehren, wenn er der Meinung wäre, eine Frau hätte in einer Schlacht nichts zu suchen? (Denn es kann dort genauso gut zu einem Kampf kommen, sollte Saruman zusätzlich Orks und Wargreiter ausgeschickt haben.) Sollte er sich nicht dafür einsetzen, dass ein Mann die Bevölkerung führt?
Er sagt jedoch kein Wort dagegen, und der König selbst übergibt ihr Schwert und Harnisch, ehe sie davonreiten. Er hätte sicherlich schon viel früher etwas dagegen gesagt, dass Éowyn überhaupt im Umgang mit dem Schwert geschult wurde, denn niemand ist darüber überrascht, dass sie weiß, wie sie mit einem Solchen umzugehen hat. So etwas lernt man nicht an einem Nachmittag; sie wird da jahrelang Unterricht gehabt haben. Außerdem haben die Eorlingas diese Tradition der Schildmaiden; das ist also nichts Ungewöhnliches.
Ich denke, dass es tatsächlich mehr die Sorge um seine Schwester ist, die ihn so sprechen lässt; nicht sein Weltbild auf Frauen allgemein. Er hat schon seine Eltern und seinen Vetter verloren; da möchte er sicherlich nicht auch noch seine Schwester verlieren!
Es wird explizit im Buch gesagt, dass er nach seinem Schwert greift und grimmig „Das wusste ich schon, deshalb wollte ich ihn erschlagen und das Gesetz der Halle missachten“ murmelt (fragt nicht, weshalb gerade dieser Satz so sehr in meinem Kopf hängengeblieben ist), nachdem Gandalf Gríma auf sein Stalking von Éowyn anspricht! Erst dann, nicht vorher.
Was bedeutet, dass Éomer allein aus dem Grund in die Kerker geworfen wurde, weil er Gríma auf dessen Blicke ansprach, was nichts mit Saruman zu tun hat. (Oh, natürlich kann man das anders deuten, aber ich wähle diese Interpretation.)
Ich verstehe wirklich nicht, weshalb es gerade Éomer ist, der meist so ungläubig und feindlich reagiert. Er hat keinen Grund; keinen einzigen, verdammten Grund, anzunehmen, dass Frauen nicht auch Waffen in die Hand nehmen und kämpfen könnten!
Gerade er sollte so etwas doch am Besten verstehen können, oder? Wenn man das Schicksal von ihm und seiner Schwester bedenkt, beides Waisen, da der Vater im Kampf starb und die Mutter kurz darauf an gebrochenem Herzen? Als nächster Erbe des Königs, sollte dem Königssohn etwas geschehen (was natürlich prompt passiert), und wer wäre da, wenn Éomer selbst etwas geschehen sollte? Théodens andere Schwestern werden nicht erwähnt, also bleibt nur noch Éowyn. Es wäre notwendig, sie entsprechend zu schulen, da Éomer als Marschall ebenfalls immer in Gefahr schwebt, und so muss Éowyn als „Notreserve“ zurückbleiben.

Éomer hätte keinen Grund, sich über eine Frau in Rüstung zu wundern; selbst, wenn es tatsächlich wohl mehr Männersache gewesen ist, in den Kampf zu ziehen, so scheint es zumindest doch nicht gänzlich unlogisch, dass adeligen Frauen in Rohan grundsätzlich der Umgang mit Schwert und Schild beigebracht wurde, damit sie sich und ihr Heim im Notfall verteidigen konnten. Und es macht Sinn, vom Setting her.
Rohan besteht größtenteils aus Grassteppe, Höfe sind verstreut und einzig Pferde- und Schafhirten laufen einem mal öfters über den Weg. Hilfe wird nicht sehr schnell kommen können; die Bauern sind größtenteils auf sich allein gestellt.
Und nehmen wir mal an, dass ein kleines Dorf angegriffen wird. Die Männer kämpfen, einige Reiter werden schnell nach Edoras/dem nächsten Fürsten gesandt, um Hilfe zu holen. Die Dunländer/Orks dringen derweil in die Hallen des Dorfvorstehers vor, wo... sich die Frauen vollkommen hilflos verschanzt haben werden und weinen und um ihr Leben flehen und „oh, please don‘t kill me!“ rufen werden.
Wohl eher nicht. Tolkien betont, dass die Rohirrim durchaus zäh sind, und ich erinnere mich an eine sehr beeindruckende Szene, in der Théoden von Dunharg nach Edoras aufbricht und über seinen Untergang redet, und die zurückbleibenden Männer und Frauen und Kinder tun... nichts.
Das Herz war ihnen schwer, und manche verzagten im Schatten. Doch es war ein unbeugsames Volk, seinem Herren ergeben, und wenig Weinen oder Murren war zu hören, nicht einmal in dem Lager in der Festung, wo die Flüchtlinge aus Edoras untergebracht waren, Frauen und Kinder und alte Männer. Ein schweres Schicksal lastete auf ihnen, aber sie blickten ihm schweigend ins Auge.“ (S. 809, Rotes Buch der Westmark)
Rohan ist karg und nicht so reich wie Gondor, und von daher macht es durchaus Sinn, dass auch die Frauen sich verteidigen können; es vielleicht selbst müssen, im Notfall. Von daher wird es dort wohl nicht unbedingt unüblich gewesen sein, auch den Töchtern den Umgang mit Waffen beigebracht zu haben – auch, wenn es nicht üblich war, sie in die Schlacht zu schicken. Kinder und Allianzen und Heiraten sind letzten Endes wertvoller als tote Töchter und ruhmvolle Lieder. (Cwéad. Mir fällt gerade auf, dass dann wohl auch Céne den Umgang mit dem Schwert erlernt haben wird, und mir gefällt der Gedanke gerade gar nicht. Auf der anderen Seite kann Gálmód Frána dann verspotten, dass selbst seine Tochter mehr Mann ist als sein Sohn. Außerdem sagte niemand, dass sie dies mögen muss.)
Die Frauen werden also kurzen Prozess mit den angreifenden Dunländern/Orks machen, je nach Können und sich weiter verbarrikadieren, und die Verstärkung wäre irgendwann eingetroffen und hätte den Rest erledigt. Danach hätten alle gemeinsam die Leichen betrauert und aufgeräumt und die zerstörten Gebäude wieder aufgebaut, und das Leben wäre weitergegangen.
Ich gebe zu, ich mag die Vorstellung.
Solch eine frauenfeindliche Einstellung („Waaaas? Eine Frau hat ein Schwert?! Verbrennt sie! Bindet sie an Herd und Heim!“) verstehe ich tatsächlich eher bei Boromir (auch, wenn ich nicht glücklich darüber bin), denn soweit ich gesehen habe, zieht es die Frauen aus Gondor nicht auf das Schlachtfeld, und Boromir hat keine Schwester. Was dennoch keine Entschuldigung ist; Boromir scheint Rohan recht gut zu kennen, was als zukünftiger Truchsess nicht allzu verwunderlich ist. Man sollte wissen, welches von den Nachbarländern Freund und wer Feind ist und welches Land damals den Schwur vor Cirion ablegte, Gondor in Notzeiten zur Hilfe zu eilen.

Wie ich jedoch schon sagte – es ist leicht, die Sorge um die Erbin des Hauses Eorl mit der Einstellung „Frauen sind nicht fähig, in einer Schlacht zu kämpfen“ zu missverstehen. Ich glaube, dass Éowyn selbst dies missverstanden hat. „For you are a woman and your part is in the house“ kann zwar verächtlich und objektivierend gedeutet werden (was ich jemandem wie Gríma sofort zutrauen würde, nur sehr viel subtiler ausgedrückt), aber in einem anderen Kontext, wie aus Éomers oder Théodens Mund, würde ich das eher als „Du bist meine Schwester/Schwestertochter und ich möchte dich nicht verlieren“ deuten.
Éomer mag zwar nicht alle Beweggründe seiner Schwester gekannt haben, aber ich bezweifle, dass er die Einstellung hatte, gleich alle Frauen zu generalisieren. Das hat er schließlich auch nachher nicht mit Arwen oder Galadriel und der merkwürdigen Schönheitswette, die er da mit Gimli hatte, getan. Er hätte sich dagegen gewehrt, dass Éowyn später als Herrin des Schildarmes bezeichnet wird und sicherlich Lieder über sie gedichtet werden, wäre er tatsächlich dagegen, dass Frauen Schwert und Schild aufnehmen.
Er ist es nicht.
So sehr ich Éomer auch eher grimmig und widerwillig betrachte und ihn tatsächlich häufig offen dafür kritisiere, Männer des Königs in den Hallen einfach so anzugreifen (auch, wenn das verdient war) – in dieser Sache muss ich ihn doch verteidigen. Diese frauenfeindliche Einstellung passt, meiner Meinung nach, weder zu Éomers Wesen, noch in das Setting hinein.
Zu anderen Figuren, ja, aber nicht für den Dritten Marschall der Mark und den 18. König von Rohan.

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