Samstag, 14. April 2018

"Er ist so toll!", schwärmte Éowyn - oder Weshalb dieser Satz extremst OOC ist

Ah... wie beginne ich am Besten mit diesem Thema? Vielleicht damit, dass in vielen FFs die Protagonisten sehr viel kindischer herüberkommen, als sie eigentlich sind. (Beispiel: In einer Geschichte ein herumschreiender Gríma. Schau dir nochmal die Filme an, lies die Bücher und zeig mir mal, wo genau der da so wütend im Capslock herumschreit. Jammern? Ja. Greinen? Oh ja, zu viel. Vor Wut schreien? Ähm… nein.)
Es geht mir hier jedoch nicht um Gríma, sondern um die ides Éowyn, Éomunds Tochter.


Ich möchte nicht behaupten, dass ich sie sehr gut kenne. Fakt ist, dass ich viele ihrer Entscheidungen nicht verstehe und mich darüber ärgere, weil ich es eben nicht tue. Aber an die neun/zehn Jahre des intensiven Stalkings Schreibens haben ihre Spuren hinterlassen. Ich mag nicht alle Aspekte von ihr verstehen oder nachvollziehen können, aber ich weiß zumindest, wie sie nicht handeln würde.
Und das ist unter Anderem, zu einem kichernden, modernen Teenager zu mutieren, sobald die Mary-Sue, die mit Théodred oder Éomer verkuppelt werden soll, in Edoras auftaucht. Sie wird die BFF der Mary-Sue, unterhält sich mit ihr über Männer („er ist doch so kawaii!“), beschwert sich bei ihr, dass sie nicht mit dem Schwert üben/dass sie nicht in die Schlacht reiten darf und tut ihr Bestes, die Mary-Sue mit ihren designated love interest zusammenzubringen.
Ich meine, ja – was ist die ides im Prinzip anderes als ein Teenager? Sie ist erst 24 Jahre alt und „gerade erst zur Fraulichkeit gereift“, wie Aragorn ja so nett beschreibt. Sie hat ihr Leben bisher fast nur innerhalb Meduseldes verbracht und hat nicht wirklich etwas von der Welt gesehen, ist also ziemlich behütet aufgewachsen. Es ist also kein Wunder, dass sie so unbedingt in eine Schlacht ziehen möchte.
Den Aspekt mit dem „ich darf nicht mit dem Schwert üben, mimimi“ spreche ich vorab an – im Buch bekommt sie Harnisch und Schwert mit einer Selbstverständlichkeit, welche erwarten lässt, dass sie damit umzugehen weiß. In der rohirrischen Kultur scheint es üblich zu sein, dass adelige Frauen auch den Umgang mit dem Schwert beigebracht bekommen, was Sinn macht, wenn man das Setting bedenkt, in dem sie aufwachsen. (Weit verstreute Höfe, meilenweite Pampa dazwischen.)
Éowyn wird regelmäßig üben, soweit es ihre anderen Pflichten zulassen. Zwischen „ich kann mit einem Schwert umgehen“ und „ich reite in eine prinzipiell tödliche Schlacht mit“ besteht ein großer Unterschied, und das eine schließt das Andere nicht automatisch aus. Ich habe dazu bereits einmal einen Blogeintrag geschrieben, der hier zu finden ist.
Aber, fragt der Leser mit großen Augen, aber wenn du schon sagst, dass sie ein Teenager ist, weshalb ist es dann falsch, dass sie mit meiner Protasue über Jungs schwärmt? Das macht doch jeder! Weshalb ist das falsch? Sie ist doch ein Mädchen!
Da gibt es zwei große Punkte, die dagegen sprechen. Vielleicht sogar drei, wenn man Tolkiens Beschreibung von ihr als sehr ernste, zurückhaltende Frau mit einbezieht.
Erstens wäre da der Fakt, dass sie in jungen Jahren sehr schnell hintereinander ihre Eltern verlor und mit ihrem Bruder zusammen zu ihrem Onkel kam. Natürlich spricht das allein noch nicht dafür, dass sie nicht kichern und fröhlich sein kann, aber das Buch macht deutlich, dass sich dadurch zumindest eine sehr enge Bindung zu ihrem Onkel gefestigt hat, den sie als Vater ansehen.
Lasst uns mal ein Gedankenspiel spielen. Stellen wir uns mal vor, dass ihr seit einiger Zeit bemerkt habt, dass euer Vater mehr und mehr verwirrt wird, schwächer wird, ihn die Kräfte verlassen. Kurzum, er wird ganz einfach alt. An sich kein allzu großer Grund zur Beunruhigung. Dann jedoch beginnt er, sich mehr und mehr auf die Hilfe seines Freundes zu besinnen – der im Gegenzug dazu auf einmal beginnt, sehr unangenehm zu werden und seine Macht mehr und mehr auszuweiten – beginnt, sich in das eigentlich behütete Familienleben mit einzumischen, die Taschengeldraten zu kürzen und sich in euer Privatleben einzumischen. Und euer Vater winkt das alles nur ab, wenn ihr zu ihm kommt, um euch zu beschweren und sagt, dass der Mann ja aber doch ein sehr guter Freund von ihm ist und ihr kein Recht habt, ihn zu kritisieren.
Sagt mir, dass das euch keine Sorgen bereiten würde.
Zweitens: Théoden hat nicht noch einmal geheiratet; Elfhild starb im Kindbett. Éowyn ist demnach die wichtigste weibliche Persönlichkeit des Hofes, was heißen will, dass sie die verdammte Hausherrin ist.
Sie muss sich um alle anstehenden Dinge am Hofe kümmern, darum, dass das Essen zur richtigen Zeit fertig wird, sie muss Gäste bewirten, Unterkünfte für solche organisieren, sichergehen, dass sie Diener das tun, was sie sollen (putzen, kochen, waschen). Sie muss den Überblick behalten, und sage mir einer, dass das kein Vollzeitjob ist – in einer Zeit ohne Internet, Taschenrechner, Mails oder tollen Excel-Tabellen.
Was tut sie denn in Film und Buch? Es ist ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Flüchtlinge aus Edoras sicher Dunharg/Helms Klamm erreicht, dass sie auf dem Weg genug zu Essen haben, und dass dort die Vorräte auch reichen. Sie empfängt Aragorn und die Graue Schar in Meduselde und stellt ihnen sogleich Zimmer zur Verfügung („Ihr Herren seid sicher müde und wollt zu Bett gehen, ihr werdet welche bekommen, so behaglich, wie die Eile es zulässt. Doch morgen sollen schönere Unterkünfte gefunden werden!“), sie sorgt dafür, dass alle Frühstück haben, welches ja auch irgendwoher kommen muss, dass die Tische gedeckt sind und alles um neun Uhr beim Morgengrauen bereit steht. Sie bewirtet die Gefährten, als sie vor der Schlacht von Helms Klamm noch mit dem König zusammensitzen und schnell etwas essen.
Worauf ich damit hinauswill: Sie wird keine Zeit haben, sich um so etwas Banales wie das Liebesleben ihres Bruders zu kümmern. Ich wage zu behaupten, dass es sie auch nicht wirklich interessieren würde, da sie viel wichtigere Dinge im Kopf hat – und damit setze ich noch nicht einmal voraus, dass der drohende Schatten des Krieges über ihnen hängt, was eine ganz eigene Sorge ist.
Vor Allem mit Théodens Weggang wird sie alle Hände voll zu tun haben.
(Was es sich wie ein ganz eigener Verrat anfühlen lässt, dass sie die Bevölkerung in Edoras, dessen Schutz sie schließlich versprochen hat, einfach zurücklässt, um in die Schlacht zu ziehen. Aber gut, sie war zu dem Zeitpunkt auch nicht ganz rational, wenn man ihren Liebeskummer um den Herrn Thorongil bedenkt, der – ihrer und der jedes Anderen, der davon gehört hat, Ansicht nach – in den sicheren Tod gegangen ist.)

Der werte Leser hebt die Hand. Aber, fragt er, aber was ist mit Aragorn? Sie schwärmt sehr offensichtlich für ihn!
Im Buch nicht ganz so offensichtlich wie im Film, da bleiben ihre Augen nur ständig an ihm hängen (Ha! Und einer anderen Figur vorwerfen, man würde sie zu oft anstarren, Éomer!), und sie erzittert, als ihre Hände sich einmal zufällig berühren.
Aber Aragorn kommt nach dem Zeitpunkt, den ich hier anspreche – zu dem Zeitpunkt hat sie wieder Hoffnung schöpfen können. Meiner Ansicht nach hat sie immer noch zu viele Verpflichtungen, als sich mit der Mary-Sue kichernd über Liebe unterhalten zu können – was ich mir tatsächlich erst bei ihr vorstellen kann, als sie Faramir kennenlernt – aber es ist zumindest nicht mehr ganz so abwegig wie vor Gandalfs Heilung des Königs.
Éowyn wird als kalt, kühl, Lilie, Frühlingsmorgen noch durchhaucht von Winterkälte beschrieben – alles, was eher… eben unterkühlt, statisch anmutet. Nachher, in den Häusern der Heilung, ist sie ja noch apathischer und wartet nur noch auf den Tod, ehe Faramir ihr da ein wenig mehr helfen kann.
Deshalb – ja, die ides mag tatsächlich ein Teenager sein, aber ich denke, ich habe genug Argumente vorgebracht, um deutlich zu machen, weshalb sie für mich niemals zu einem fröhlich kichernden Mädchen werden wird – zumindest nicht während oder vor dem Ringkrieg.

1 Kommentar:

  1. Hallo und erst einmal danke für diesen tollen Blogeintrag! Endlich mal jemand, der anspricht, wie vielfältig und anstrengend die Aufgaben einer Frau in einem mittelalterlichen Setting sind und dass sie nicht den ganzen Tag herumsitzen und Blümchendecken sticken konnten. :) Allerdings habe ich das nie so ganz auf Éowyn bezogen (weil ich mir allgemein zu wenig Gedanken über sie mache) und muss zugeben, dass sich da doch ein betroffenes Gefühl eingeschlichen hat, als ich daran dachte, in was für einem jungen Alter sie diese Aufgaben bereits übernehmen musste... Da kommen Erinnerungen hoch und nicht unbedingt die besten.

    Und bei Éowyns Assoziationen mit Winter und Frühlingsanfang fiel mir unweigerlich noch eine Parallele ein. "A pale smile, like a gleam of cold sun on a winter's evening, passed over the old man's face." Für die einen wird es einen neuen Frühling geben, für die anderen nicht. Tolkien hat den Pelennor wohl nicht umsonst auf den 15. März gelegt...

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