Dienstag, 19. Januar 2016

Dr. Lecter, Lord Bolton und Stephen King

Dr. Lecter überrascht mich doch immer wieder unvorbereitet.
Ich lese das „Schweigen der Lämmer“ jetzt zum dritten Mal (bzw. lese ich seit langer, langer Zeit endlich mal wieder weiter), und immer wieder fasziniert mich die Art, auf die Andere ihn im Roman analysieren, über ihn reden; die Art, auf die er auftritt.
Wenn ich über ihn lese, dann kommt in mir so eine Art gewisses Unbehagen auf. Man hat ein wenig das Gefühl, dass er gerade durch seine Höflichkeit, seine sehr zivilisierte, ruhige, überlegte Art etwas versteckt; ein Wesen versteckt, welches grausam ist und Freude am Leiden anderer Menschen hat. Womöglich kommt das, weil man weiß, dass er neun Menschen umbrachte. Womöglich, weil man weiß, dass er Psychiater war. Womöglich, weil man weiß, dass er nicht alles erzählt, was er weiß.

Manchmal habe ich mich zudem gefragt, wenn er mal wieder mit Starling über dieses und jenes gefachsimpelt hat, ob man einen Teil dieses Gespräches einem unwissenden Leser zeigen könnte und diesen fragen, wie er sich die beiden Personen vorstellt, und in was für einer Umgebung. Und ob dieser Leser dann trotzdem diese drohende Gefahr spürt, die von Lecter ausgeht, oder ob er nur zwei Ärzte vor sich sieht, die sich über psychische Krankheiten unterhalten. Ich hätte hier insbesondere die Szene vor Augen, in der die beiden sich über Sammie unterhalten.
Natürlich müsste ich sicherlich noch andere Textstellen aus Büchern finden, wo sich zwei Ärzte miteinander unterhalten, um die Grenzen verschwimmen zu lassen. Es wäre ein interessantes Experiment, und bei Gelegenheit muss ich das mal ausprobieren, wenn sich jemand Geeignetes findet.
Außerdem ist mir schlagartig klar geworden, dass ich mir unbewusst Lord Roose Boltons Gesicht wie das von Dr. Lecter vorgestellt habe. Beide Gesichter sind in meiner Vorstellung zwar etwas verschwommen, wie meistens, wenn ich mir Gesichter vorstelle, aber doch grundsätzlich das Gleiche. Merkwürdig.
Dabei wurde Rooses Gesicht nie mit mehr als „gewöhnlich“ beschrieben, als „still“ und „alterslos“; der Fokus lag schon immer mehr auf seinen Augen und seiner Stimme. (Wenn man auch erwähnen muss, dass Roose helle Augen hat, und Dr. Lecter hat dunkle.)
Ich bin mir sicher, dass sich Lord Bolton und Dr. Lecter gut verstehen würden. Man bedenke schon ihre gemeinsames fachsimpeln über das Häuten, und Lecter könnte vielleicht Bolton ein paar neue Anregungen geben, was man sonst noch mit einer gehäuteten Person (und ihren Organen) machen kann.


Was mich mit einem kleinen Sprung weiter zu Stephen King bringt. Ich hatte um Weihnachten herum angefangen, das Buch „The Shining“ zu lesen, und schon in den ersten paar Kapiteln hat mich dieses Grauen wieder erfasst, obwohl nichts – wirklich, rein gar nichts – passiert. Die Familie Terrence wird beschrieben, Vater, Mutter, Kind, mit wechselnder Perspektive. Doch schon da wird es einem unheimlich, und ich schätze, es liegt an Kings Talent, Andeutungen zu machen.
„(Lost your temper, didn‘t you?)“ Dieser Satz (einer von vielen) erscheint schon früh am Anfang des Buches, zudem ist da die Sorge der Mutter, als sie an diesen Vorfall mit ihrem Mann und ihrem Sohn zurückdenkt. Erklärt wird erstmal nichts; der Satz wird einfach mitten im Raum stehengelassen, und es ist der Fantasie des Lesers überlassen, sich dazu etwas auszudenken.
Und Fantasie, vor Allem zu viel davon, kann schrecklich sein. Wer kennt das nicht, dass man als kleines Kind in der Dunkelheit unter der Decke liegt, und wo jedes Rascheln, jedes Knarren der Äste draußen vor dem Fenster sich zu einem Monster entwickeln kann? Wer hat nicht schon in seiner Fantasie eine Gestalt, dunkler als die Schatten drumherum, auf dem Boden durch die Dunkelheit auf einen zukriechen sehen und sich dann unter der Decke versteckt? Und wenn man dann unter der Decke hervorlugt, dann steht das Ding entweder direkt vor einem und starrt auf einen hinab, oder es ist wieder an seinem angestammten Platz und beginnt wieder zu kriechen.

Ha. Solche Andeutungen, in der die Fantasie so sehr angeregt wird, sind grausam und genial zugleich; und ein großer Reiz beim Fanfiktionschreiben ist eben auch, wenn man mit solchen Andeutungen auf das zukünftige Schicksal der Charaktere anspielen kann. Bei der Fanfiktion hat man schließlich das Buch schon gelesen, den Film gesehen, und man weiß, was passieren wird.
King macht genau das Selbe, indem er den Sohn Visionen haben lässt. Und dann das alles so endlos lange herauszögert. Mittlerweile ist es Januar im Overlook Hotel, wo sie überwintern, und es ist immer noch nichts passiert; außer, dass die Nerven der kleinen Familie mittlerweile blank liegen. Und trotzdem musste ich das Buch als Abendlektüre aufgeben, weil mich das zu sehr aufgeregt hatte. Und dabei ist in der ganzen Zeit nichts wirklich Großes passiert. Noch nicht, zumindest; denn man weiß, dass es nicht mehr lange dauern wird, ehe sie alle zusammenbrechen werden.


Dieses Gefühl und die Art, wie es hervorgerufen wird, fasziniert mich; womöglich suche ich sogar aktiv danach, auch, wenn ich normalerweise von mir behaupte, sehr schreckhaft zu sein und Horrorfilme nicht unbedingt zu mögen.
Doch ich spiele selbst gerne damit. Meine Leser von „Cwideas“ werden das insbesondere wissen, und auch manche vom „Duft“. (Ein Grund mehr, sich zu wundern, weshalb so viele Leute ausgerechnet Dunwulf wählen. Ich verstehe das nicht; ich verstehe das wirklich nicht. Ich meine, ja, ich habe versucht, ihn sympathisch zu schreiben; das sollte er ja auch sein, doch dass alle Leser jetzt auf einmal Céastan links liegen lassen und freudig Dunwulf nachlaufen; damit habe ich nicht gerechnet. Doch nun, vielleicht gibt sich das mit den nächsten Entscheidungen wieder. Und außerdem kann ich das (nach einigem Überlegen) auch irgendwie doch verstehen, dass sie lieber Dunwulf mögen als Céastan.)
Es macht einfach viel zu viel Spaß, zu wissen, dass die Leser womöglich das gleiche Gefühl durchleben wie man selbst, und allein deshalb würde ich so etwas wahrscheinlich einfach immer wieder schreiben und solche Bücher lesen. Und wenn dann auch noch Humor mit dabei ist, umso besser.

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