Was geschieht, wenn Figuren sich so
sehr verselbstständigen, dass man als Autor über ihre Starrsinnigkeit den Kopf schüttelt?
Ich spreche hier primär von stuntfola,
obwohl es da noch andere Kandidaten gibt, doch stuntfola hat mich mit
ihrer Sturheit zur Verzweiflung gebracht. (Krähenfuß und Saruman, zum Beispiel, sind auch zwei Charaktere, die immer wieder ungebeten auftauchten und hartnäckig einen Platz im Kapitel verlangten.)
Zu Anfang muss gesagt werden, dass ich
shippe; obwohl ich im Vorwort schrieb, dass „Cwideas“ kein
Hauptaugenmerk auf eine Romanze legen würde (und nicht geplant ist,
dass dort eine noch vorkommen soll). Ich shippe tatsächlich einige
Charaktere und hoffe manchmal beinahe schmerzhaft, dass die beiden
doch zusammenkommen mögen, obwohl ich weiß, dass das nicht möglich
ist.
So zum Beispiel ist mein
Lieblingspairing in meiner eigenen Geschichte stuntfola
und Albert. Ich habe bereits zwei Freundinnen damit vollgejammert,
dass meinen Gefühlen meine eigene Planung im Weg steht, und meine
Planungs-Logik-Seite ist leider unnachgiebig und hat die besseren
Argumente. (Nun, gegen ein „aber sie sind doch so niedlich
zusammen!“ und „aber sie brauchen einander, und sie sind süß!“
lässt sich leicht argumentieren.)
Dabei ist Albert eigentlich ein
Charakter, der keine große Rolle spielen sollte.
Ähnlich wie Créofan/Krähenfuß war
auch er erst nur eine namenlose Figur in der Drabblesammlung „120
fremde Worte“, um bestimmte Schlagworte zu erfüllen und um
eine kurze Rast von der Wanderung zu haben. Er war da, war freundlich
zu Gríma und stuntfola und schmuggelte sie in der Drabblesammlung
sogar in den Stall, damit sie im Heu übernachten konnten. Was jedoch
nichts daran änderte, dass er am nächsten Morgen Gríma zur Rede
stellte und ihm drohte, stuntfola ja nicht anzurühren, worauf der
ehemalige Ratgeber noch nicht so ausweichend, sondern beinahe
zynisch-aggressiv antwortete: „Woher willst du wissen, dass ich
das nicht bereits getan habe?“
Da ein Drabble eben sehr wenige Worte
sind, konnte Gríma den Stallknecht nach dem Cliffhanger beruhigen
und gleich darauf versuchen, stuntfola zum Bleiben zu überreden.
Ich mochte den Stallknecht, da er eben
eine kleine Anspielung auf Grímas Vergangenheit und die damaligen
Gerüchte machen konnte, und so wollte ich ihn auf jede Fall in der
ausgeschriebenen Version mit dabei haben.
Und so entstand Albert, bei dem ich ein
wenig mehr Zeit hatte, auf seine Sicht auf sowohl stuntfola, Gríma
und Saruman einzugehen. (Ich amüsiere mich immer noch darüber, dass
er Saruman als den lieben, netten Großvater ansieht.)
Was mir gleich zu Anfang an auffiel,
war seine Naivität. Stuntfola war zwar einst auch so, hat diese aber
dank der Monate im Orthanc und dem Zusammensein mit Saruman ein wenig
abgelegt, doch Albert ist in dem Gasthof am Grünweg isoliert und
bekommt kaum mal etwas von der Welt mit. Er hat keine Ahnung, dass
vor ca. fünf Monaten ein Krieg geschlagen und gewonnen wurde; dass
die große Bedrohung Sauron vernichtet wurde, und dass er im Gasthof
zwei (mehr oder weniger) wichtige Mitspieler dieses Krieges
beherbergt. Er hat keine Ahnung, dass Saruman beinahe ein Land seinem
Willen unterjocht hätte, er hat keine Ahnung, dass Saruman derjenige
ist, der Gríma und stuntfola dazu zwingt, ihm zu folgen.
Albert sieht nur das dreckige,
erschöpfte, hungrige Mädchen stuntfola und bekommt sogleich Mitleid
mit ihr. Noch ist er neutral Gríma gegenüber eingestellt, obwohl er
ihm unheimlich in seinem Schweigen, seinem stechenden, abweisendem
Blick ist.
Bis er die blauen Flecken auf
stuntfolas Armen entdeckt, Grímas etwas arrogantes Verhalten ihr
gegenüber (iss und überlasse mir das Reden), und da zählt er dann
zwei und zwei zusammen, und sein Beschützerinstinkt entlädt sich
Gríma gegenüber – unverdient, in diesem Fall. Ich musste sehr
grinsen, als ich die Szene schrieb, während ich Mitleid mit ihnen
beiden hatte.
Albert ist sehr tapfer – tapfer, aber
töricht aufgrund seiner Unwissenheit. Er ist bereit, ein Mädchen,
welches er gerade erst einen Abend lang gesehen hat, zu beschützen
und sich damit Feinde zu machen. Er würde versuchen, sich so gut wie
möglich um stuntfola zu kümmern; ihr die Geborgenheit geben, die
Gríma ihr nicht geben kann (und will), weil der ehemalige Ratgeber
zu sehr angefüllt ist mit bitteren Erinnerungen und sich da
abschottet.
So gesehen – ja, sie würden einander
brauchen und sich füreinander sorgen, und stuntfola könnte
vielleicht sogar mehr oder weniger glücklich an seiner Seite werden.
Und da kommt dann das große „aber“,
meine Logik-Seite.
Stuntfola selbst würde da nämlich
nicht mitspielen.
Dies ist mir sehr schnell klargeworden,
als Gríma versuchte, sie zu überzeugen. Sie würde ihn jetzt nicht
im Stich lassen; zu sehr klammert sie sich an diese Hoffnung, wieder
nach Hause zu kommen, wenn sie nur in Sarumans Nähe bleibt. Zudem
könnte sie den Gedanken wohl nicht ertragen, zu wissen, dass Gríma
sterben könnte, wenn sie nicht mit dabei ist. Sie denkt, dass der
Grund, weshalb sie in Mittelerde und auf Gríma getroffen ist, der
ist, dass sie ihn retten muss, um wieder nach Hause zu gelangen. Dass
sie womöglich Saruman retten muss, die Handlung umändern, um wieder
nach Hause zu kommen.
Selbst, wenn sich ein anderer Weg
ergeben würde; einer, der nichts mit Saruman oder Gríma zu tun
hätte – sie würde dennoch weiterhin mit ihnen mitgehen. Sie hat
das Gefühl, als wenn sie (zumindest Gríma) das schuldet und ihn
nicht mit gutem Gewissen einfach in den Tod laufen lassen kann. Und
dann ist da ja noch Galadriels Angebot einer schnellen Heimreise, das
sie ja auch ausschlug, weil sie sich verantwortlich gegenüber Gríma
fühlte. Der Ratgeber ist das einzig Vertraute in der Welt, in der
sie gelandet ist, und deshalb würde sie ihm und Saruman weiterhin
folgen.
Außerdem denke ich, dass es ohnehin
nicht gelungen wäre, sie dort zu „verstecken“. Saruman hätte
dies schnell erkannt und Gríma recht sicher bestraft, ihm seine
Informationsquelle rauben zu wollen; hätte sie zurückgeholt, und
somit war dieser Plan ohnehin zum Scheitern verurteilt.
Man könnte jetzt verwundert fragen:
Ja, aber du bist doch die Autorin, zudem sind das beides OCs. Du
könntest sie doch einfach zusammenkommen lassen und Gríma und
Saruman ignorieren, oder?
Und da wäre meine sofortige Antwort:
Nein. Ich könnte das zwar machen, aber es würde sich nicht richtig
anfühlen; damit wäre stuntfola immens out of character. Sie
würde sich jahrelang Vorwürfe machen, Gríma einfach so verlassen
zu haben, wo sie doch das Buch kennt; sie würde sich selbst als
feige beschimpfen, da sie noch nicht einmal versucht habe,
etwas zu ändern. Sie könnte mit dieser Möglichkeit ganz einfach
nicht leben, und deshalb folgt sie Saruman weiterhin.
Ich würde es ihr von ganzem Herzen
wünschen, mit Albert im Gasthof zu leben, vielleicht ab und an auf
Reisen zu gehen und dann wiederzukommen. Und ich ertappe mich dabei,
wie ich immer noch manchmal auf ein Wiedersehen der beiden hoffe;
dass das alles noch ein glückliches Ende nehmen wird. Doch zuerst...
Winter ist coming.
And the only thing I hear is the
whisper of arrows.
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